
So sicher wie das Fallen der Blätter ist im Herbst Verlass auf die Forderung, dass Zweitligisten im Pokal Heimrecht gegen Bundesligaclubs haben sollten. Anlass sind Spiele wie Schalke gegen Sandhausen. Aber wären die Ansetzungen andersherum wirklich attraktiver?
Bei Online-Abstimmungen sprechen sich regelmäßig große Mehrheiten der Fans dafür aus, dass die Regularien des Pokals dahingehend geändert werden sollten, dass nicht nur Drittligisten und Amateure, sondern auch Zweitligisten immer Heimrecht bekommen, wenn es gegen höherklassige Teams geht. Tatsächlich sind Spiele wie VfB Stuttgart gegen FC St. Pauli, Hannover 96 gegen Dynamo Dresden, Schalke 04 gegen SV Sandhausen, Wolfsburg gegen FSV Frankfurt und Mainz gegen Erzgebirge Aue keine Leckerbissen für den neutralen Zuschauer.
Faktisch sind Begegnungen zwischen Erst- und Zweitligisten die einzigen Spiele im DFB-Pokal, bei denen es sein kann, dass ein höherklassiger Club Heimrecht hat. Theoretisch wäre es zwar denkbar, dass ein Drittligist einen Regionalligisten empfängt, aber durch die Setzlisten in den ersten beiden Runden wäre das frühestens im Achtelfinale möglich - und da spielen nur noch sehr selten mehrere Amateure mit. Wenn doch, wie zuletzt im Herbst 2009 Eintracht Trier und VfL Osnabrück, dann ist die Chance, dass sie gegeneinander spielen und dann auch noch der Drittligist Heimrecht bekommt, bei unter vier Prozent.
Das Thema sind also die Zweitligisten, die kein Heimrecht bekommen, und tatsächlich ist die Unterscheidung zwischen den ersten beiden Ligen und dem Rest recht willkürlich. Aber würde es den DFB-Pokal wirklich besser machen, wenn diese Regel zugunsten der Zweitligisten geändert würde? Oder sollte sie nicht eher in die andere Richtung hin aufgehoben werden?
Warum das ZDF aus dem DFB-Pokal ausgestiegen ist
Es lässt sich nicht bestreiten, dass der Pokal in Zeiten der Champions League nicht die Priorität Nummer eins für die Topclubs der Bundesliga ist. Das ZDF hat sich aus Kostengründen schon ganz aus der Berichterstattung über den DFB-Pokal zurückgezogen, seit der Sender die Champions League überträgt. Wenn es aber etwas gibt, das den Pokal auch außerhalb von Paderborn und Cottbus interessant macht, sind es dann nicht Fußballfestabende wie das Finale zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München?
Reflexhaft ist der durchschnittliche Fan immer geneigt, sich zugunsten der kleinen Clubs zu äußern. Sie sollen mit dem Heimrecht dabei unterstützt werden, "den Großen ein Bein zu stellen". Diese Perspektive lässt den bestehenden Modus als sehr attraktiv erscheinen und die tatsächlich inkonsequente Ausnahme der Zweitligaclubs, die reisen müssen, entsprechend negativ. Der Setzmodus ist jedoch zweischneidig. Denn einerseits haben alle unterklassigen Clubs, sobald sie sich für den Pokal qualifizieren, ein garantiertes Heimspiel, andererseits sind schon in der 2. Runde die meisten Dritt- oder Viertligisten gar nicht mehr im Wettbewerb.
Ein Blick ins Mutterland des Pokalwettbewerbs (wo der FA Cup aber auch um seine Relevanz kämpfen muss), zeigt, dass es auch anders geht. Traditionell gibt es in England gar keine Setzliste im Pokal, in der 3. Runde, in der die Premier League-Clubs und Zweitligisten einsteigen, kann es sowohl zum Duell Manchester United gegen City kommen wie auch zum Aufeinandertreffen zweier Fünftligisten (wenn diese es bis hierhin geschafft haben sollten). Der kleine Dorfclub kann aber auch in Old Trafford spielen, denn nur das Los entscheidet über das Heimrecht.
Warum englische Clubs im Pokal gerne auswärts spielen
Darüber klagt niemand. Denn erstens erfüllt sich für viele Spieler (und Fans) kleinerer Clubs ein Traum, wenn sie zum Beispiel einmal an der Anfield Road gastieren. Und zweitens ist es auch finanziell meistens viel attraktiver, im Stadion des höherklassigen Clubs anzutreten, denn wie in Deutschland werden die Einnahmen zwischen beiden Gegnern geteilt.
Welche sportlichen Auswirkungen hat nun die Entscheidung, unterklassige Clubs mit Heimspielen zu bedenken? Das kann man so einfach nicht beantworten, weil man nicht sicher sagen kann, dass es daran liegt (zumal die besagten deutschen Zweitligisten ja gar nicht automatisch Heimrecht bekomen). Aber sicher ist, dass es im DFB-Pokal wesentlich mehr Niederlagen von Bundesligisten gegen unterklassige Teams gibt als in England.
In der Vorsaison schieden sechs Erstligisten gegen kleinere Gegner aus im DFB-Pokal. In dieser Saison war diese Zahl schon nach der ersten Runde wieder erreicht. Demgegenüber traf es 2011/12 im FA Cup nur zwei Premier League-Clubs. Wenn man fordert, der DFB-Pokal müsse in der einen oder anderen Weise reformiert werden, so stellt sich natürlich die Frage, mit welchem Zweck und in wessen Interesse das geschehen soll.
Warum man niemanden zwingen kann, den DFB-Pokal ernst zu nehmen
Dass der Pokal nur der drittwichtigste Wettbewerb für die Topclubs ist, daran wird alles außer der Abschaffung des Europapokals nichts ändern. Fragt sich also, ob der DFB-Pokal vor allem für die kleineren Clubs oder gar die Zweitligisten da ist, oder ob man versuchen sollte, ihn im Rahmen der Möglichkeiten so attraktiv wie möglich für die großen Vereine zu machen.
Antwort eins brächte das Risiko mit sich, dass Bayern, Schalke oder Dortmund nur mit halber Kraft spielten, wie es internationale Topclubs auch in der Europa League gerne machen. Darüber regen sich Viele gerne auf, aber das ist müßig, weil man niemanden dazu zwingen kann, seine Prioritäten anders zu setzen. Man kann nur die Rahmenbedingungen attraktiv gestalten. Wie das? Die Vergabe eines Champions League-Platzes an den Pokalsieger hätte zwar den Vorteil, dass alle Mannschaften ihn extrem ernst nehmen würden. Es nähme aber einen Platz aus der Liga weg, was sportlich unbefriedigend ist. Möglich wäre das also nur mit einem zusätzlichen Platz für die Pokalsieger der größten europäischen Ligen. Und viel Spaß dabei, das durch die UEFA-Gremien zu bringen.
Realistischer wäre es da schon, das Setzprinzip entweder ganz aufzuheben oder so zu gestalten, dass es den gleichen Zweck erfüllt wie in anderen Wettbewerben - nämlich, dass die stärksten Mannschaften erst spät aufeinander treffen können. Man könnte sogar wie beim Tennis setzen, so dass etwa der Meister und Vizemeister der Vorsaison erst im Finale aufeinandertreffen könnten. Und das wäre (bei freier Auslosung des Heimrechts) immer noch fairer als im spanischen Copa del Rey, in dem es Hin- und Rückspiele gibt und er höherklassige Club immer das Rückspiel zu Hause bestreiten darf.
Warum ich gerne gegen unsere Leser wette
Ich gehe gerne die Wette ein, dass ein solcher Vorschlag auch bei unseren Lesern auf eine Zustimmungsrate von unter 30 Prozent trifft. Wer möchte schon gegen die Kleinen sein, gegen Überraschungen im Pokal? Natürlich sind wir nicht gegen Sensationen, wir wollen es auch den unterklassigen Clubs keineswegs verwehren, weit zu kommen. Man muss sie aber nicht unbedingt dabei begünstigen.
Ob Bayern oder Dortmund unbedingt noch einen weiteren Wettbewerb brauchen, den sie ernst nehmen, ist eine legitime Frage, aber wenn man nach dem Wert des DFB-Pokals als Ganzem fragt (und damit auch nach seiner finanziellen Bedeutung), dann spricht einiges dafür, öfter Finals zu haben wie das vom Mai zwischen Dortmund und Bayern. Und seltener Endspiele wie Mainz gegen Paderborn.
Im ÖFB-Pokal kam es im vorigen Sommer zum Endspiel zwischen dem SV Ried und dem Zweitligisten Austria Lustenau. 14.000 Zuschauer verloren sich ins Ernst-Happel-Stadion und boten eine der unwürdigsten Kulissen, die ein europäisches Pokalfinale in den letzten Jahren gesehen hat. Auch so etwas sollte man bedenken, wenn man versucht, mehr Zweitligisten durch den Pokal zu schleusen.