
Ganze Zentnerlasten fielen Fabian Hambüchen von den starken Schultern. Wie Popeye ließ Deutschlands Vorturner nach seinem Reck-Gold bei den Europaspielen auf dem Siegerpodest die Muskeln spielen, sang die Nationalhymne aus voller Kehle mit und strahlte mit seiner Goldmedaille um die Wette.
Verletzungen und eine Dürreperiode von sechs Jahren ohne internationalen Einzel-Titel hatten dem einst so unbeschwerten "Turn-Floh" sichtlich zugesetzt. Umso größer war die Genugtuung beim 27-Jährigen, es in Baku noch einmal allen gezeigt zu haben. Gold am Reck und auch Silber am Boden sorgten für einen perfekten Abschluss nach fünften Plätzen im Mehrkampf und mit der Mannschaft.
"Es ist der Hammer! Unglaublich! Das bedeutet mir viel. Es waren harte Wochen, in denen ich viel gekämpft habe, zwischendrin auch verzweifelt war. So zurückzukommen, ist unglaublich. Von den Emotionen her war das der Wahnsinn", sagte Hambüchen.
Blessuren werden ausgeblendet
Zu lange bereitete die Schulter Probleme, in Baku kamen auch noch Schmerzen an der Kapsel des linken Mittelfingers nach einem Missgeschick vor dem Mehrkampffinale hinzu - mit dem Adrenalin des Wettkampfs alles kein Hindernis. Auf dem Weg zum Gold mit der höchsten Schwierigkeit aller sechs Reck-Finalisten konnte Hambüchen nicht einmal von einer schlaflosen Nacht gestoppt werden: "Ich war um halb vier wach, hatte vorher im Traum den Wettkampf ein paar Mal durchgespielt."
Hambüchens Souveränität war so groß, dass er sogar während seiner Reck-Darbietung die Coolness besaß, sein Programm zu verändern. "Die Stange war recht glatt, da wollte ich in der Endphase nichts riskieren, habe ein bisschen was rausgenommen", erklärte er.
Sein technischer Schwierigkeitsgrad lag damit nur noch bei 7,0, dies genügte aber, um den zweitplatzierten Griechen Vlasios Maras, immerhin zweimal Weltmeister und fünfmal Europameister am Königsgerät, noch in Schach halten zu können. "Ich habe lange auf diesen Moment gewartet, ich habe schon lange nicht mehr allein ganz oben gestanden", sagte Hambüchen stolz.
Push für die WM
Dass dies bei der "Neugeburt" Europaspiele der Fall war, schmälerte den Wert der Medaille für den Wetzlarer keineswegs: "Das kommt direkt nach Olympia und WM. Sich hier so zurückzumelden auf der großen internationalen Bühne, gibt mir nochmal einen richtigen Push für das restliche Jahr mit der WM."
Hambüchen weiß aber auch, dass er mit einem solchen Ausgangswert beim Jahreshöhepunkt Ende Oktober in Glasgow wie auch bei den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro keinen Blumentopf mehr gewinnen kann. Dann werden auch wieder Olympiasieger und Weltmeister Epke Zonderland (Niederlande) sowie die starken Turner aus China und Japan dabei sein und die Messlatte deutlich höher legen.
Deswegen stapelt Hambüchen auch lieber tief, wenn er über seine Chancen im Kampf um das einzig noch fehlende Olympiagold spricht. "Wenn man ehrlich ist, geht es mit den Chancen mit zunehmendem Alter nach unten. In Peking wäre Gold am einfachsten gewesen. In London war es schon schwieriger, aber da hat Zonderland es mir schwer gemacht. Rio wird jetzt richtig hart", sagte der 27-Jährige mit Blick auf seine wohl letzten Olympischen Spiele.