
Als genialer Regisseur kam er einst aus der "Tiefe des Raumes", dann wurde Günter Netzer Strippenzieher als erfolgreicher Manager des Hamburger SV und danach gewiefter Sportrechtevermarkter. Am Sonntag (14. September) vollendet der Welt- und Europameister, einer der ersten Bundesliga-Stars mit Glamour-Faktor, sein 70. Lebensjahr.
"Ich habe das richtige Tempo für mein Leben gewählt. Das kann nicht der absolute Ruhestand sein. Ich muss immer etwas zu tun haben, woran ich Spaß habe. Das steht über allem. Zufrieden zu sein, ist das Allerwichtigste, nicht die Bedeutung, die die Dinge haben. Heute habe ich die Freiheit, meine Lebenseinstellung leben zu können", skizzierte Netzer im Interview sein Credo.
Und eine Eigenschaft hat ihn immer schon ausgezeichnet, wie der einstige Spielmacher von Borussia Mönchengladbach gesteht. "Ich kann sehr, sehr gut delegieren. Das hat damit zu tun, dass ich am liebsten faul bin. Es ist eine große Kunst, bessere Menschen um sich zu haben."
"Ich werde nie erwachsen"
Das galt als Spieler bei der Borussia und der Nationalmannschaft, wo er einen "Wasserträger" wie Herbert Wimmer an seiner Seite hatte, der ihm viel Laufarbeit abnahm. Netzer verrät: "Für mich hatte Fußball zu spielen höchste Priorität. Natürlich hat es Abweichungen gegeben und Unvernunft, eine gehörige Portion. Das gehört immer noch zu meinem Leben. Ist aber so. Ich werde nie erwachsen, und das will ich auch gar nicht.In der Nationalmannschaft kam Netzer (Europameister 1972, Weltmeister 1974) in zehn Jahren nur 37-mal zum Einsatz: "Ich habe immer gesagt, Wolfgang Overath ist der bessere Nationalspieler, weil er diese Nationalmannschaft verinnerlicht hatte. Ich hatte Borussia Mönchengladbach verinnerlicht. International gesehen eine völlig falsche Entscheidung. Aber die Nationalmannschaft war nicht mein erklärtes Ziel, nicht mein Streben.
Er habe "meine Freude immer im Verein gesucht, und da war ich der Bessere", betont er. Nach Auslands-Gastspielen bei Real Madrid und Grasshopper Zürich beendete Netzer als knapp 33-Jähriger 1977 seine aktive Laufbahn.
Eröffnung einer Disco
Netzer kehrte aber bald in die Bundesliga zurück, wenngleich in anderer Funktion. Von 1978 bis 1986 war er Manager des Hamburger SV, es war die erfolgreichste Zeit der Norddeutschen: Deutscher Meister 1979, 1982, 1983 und 1983 sogar der Gewinn des Europapokals der Landesmeister. Netzer überzeugte Trainer wie Branko Zebec und Ernst Happel davon, an die Elbe zu kommen, holte Franz Beckenbauer sogar aus dem US-amerikanischen Exil zurück.Später wurde Netzer Partner von Cesar W. Lüthi, dem Pionier der Bandenwerbung. Nach der Kirch-Pleite stieg er als Geschäftsführer bei dem Sportrechtehändler Infront ein, für den er immer noch beratend tätig ist. Geschäftsmann war Netzer schon in jungen Jahren. 1971 kaufte der Ferrari-Liebhaber in Mönchengladbach die Diskothek "Lovers Lane". Netzer: "Ich habe unseren Trainer Hennes Weisweiler zwei Tage vor der Eröffnung informiert. 'Das ist das Ende', hat er gestöhnt. Der hat gedacht, ich stehe um zwei Uhr nachts noch hinter der Theke."
Selbsteinwechslung gegen Köln
Einem jungen Publikum ist Netzer noch bekannt, weil er viele Jahre bis 2010 mit Gerhard Delling in der ARD die Länderspiele der Nationalmannschaft analysierte. Den Älteren wegen seines Siegtores zum 2:1 kurz nach Beginn der Verlängerung im Pokalfinale 1973 im Düsseldorfer Rheinstadion gegen den 1. FC Köln.Weisweiler hatte Netzer wegen Formschwäche nicht aufgeboten, sein Ersatzmann Christian Kulik war nach 90 Minuten Hitzeschlacht fix und fertig. Da ging Netzer zu Weisweiler und sagte: "Ich spiele" und wechselte sich selbst ein.
Dann gelang ihm nach Doppelpass mit Rainer Bonhof ein Schuss, bei dem alles falsch war, was falsch zu machen war und für den sich der Filigrantechniker heute noch schämt: "Da ist etwas gut ausgegangen, was nicht gut ausgehen konnte. Das war ein Wahnsinn, den ich bis heute noch nicht begriffen habe."
Am Tag danach war Netzer in Madrid, wo der Blonde mit den langen Haaren ebenfalls aus der Tiefe des Raumes kam und zusammen mit Paul Breitner die deutsche Ära bei den Königlichen begründete.