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Was Spanien aber auszeichnete, war die überragende Stärke seines Mittelfeldes und dessen Zusammenspiels mit der Abwehr. "Angriff ist die beste Verteidigung" lässt sich hier so verstehen, dass das schnelle Gegenpressing bei Ballverlusten ein Schlüssel zum Erfolg der Roja war, und dass die größten Stars des Turniers nicht zuletzt Spieler waren, die im defensiven Mittelfeld beheimatet sind wie Andrea Pirlo, aber auch Xabi Alonso. Deutschlands bester Spieler Sami Khedira bekleidet nicht zufällig diese Position, bei England überzeugte Steven Gerrard am meisten. Wer jedoch nicht im Mittelpunkt stand, waren Stürmer.
2) No Country for Frontmen - die stürmerlose EM
Mehmet Scholl bekam viel Spott für seine Kritik an Mario Gomez, besonders, als der so kritisierte Angreifer im folgenden Spiel gegen die Niederlande zwei weitere Tore erzielte. Noch mehr Spott bekam dann allerdings Gomez selbst nach dem Halbfinalaus der deutschen Mannschaft zu hören. Die inakzeptable Form mancher Kritik am Münchner Spieler mag noch den Abgründen des deutschen Boulevardjournalismus geschuldet sein. Aber in der Sache war es tatsächlich nicht Gomez' Turnier.
Selten wurde das Problem so auffällig wie bei der Euro 2012: Wenn Gomez keine vernünftigen Anspiele bekommt, dann bekleidet er im deutschen Spiel eine verschenkte Position. Sein Repertoire erlaubt es weder, sich an elaborierten Passkombinationen zu beteiligen, noch kann er sich zurückfallen lassen, um im Eins gegen Eins Dribblings zu gewinnen. Gegen physisch starke und taktisch geschickte Innenverteidiger hat er einen schweren Stand. Das, was er kann, kann er allerdings exzellent: Sein Positionsspiel ist intelligent, seine Schusstechnik ist weit besser, als manche Kritiker meinen, und Kopfbälle kann Gomez auch. Er ist keinesfalls ein ungenügender Stürmer, er ist ein Stürmer, der nicht in jedem Spiel gleichermaßen zur Geltung kommt.
Die relative Schwäche von Mittelstürmern bei der Euro betraf aber nicht nur Gomez. Ob Milan Baros wirklich eine Hilfe für seine tschechische Mannschaft war? Wäre Portugal mit einem Weltklasse-Mittelstürmer (statt Helder Postiga und Hugo Almeida) Europameister geworden? Und Wayne Rooney war trotz seines Treffers gegen die Ukraine sicher nicht der Schlüsselspieler, auf den Roy Hodgson gewartet hatte.
Russlands eindrucksvolles Konterspiel konnte weder das Aus verhindern noch die Wortschöpfung "to Kerzhakov" des Guardian als Verb für "am leeren Tor vorbeischießen". Robin van Persie und Klaas Jan Huntelaar, die Torschützenkönige der Premier League und der Bundesliga, erzielten zusammen ein Tor beim kläglichen Vorrundenaus der Niederlande.
Vor allem aber die Spanier begannen am Ast zu sägen, auf dem der Stürmer in einem, äh, baumförmigen Taktikdiagramm abgebildet ist. In Abwesenheit von David Villa experimentierte Vicente del Bosque mit einer Art 4-3-3-0, was insgesamt besser funktionierte als Systeme mit Fernando Torres oder Álvaro Negredo. Sicher, Torres erzielte drei Tore. Aber zwei davon gegen Irland, das schwächste Team des Turniers, und eines gegen zehn Italiener in der Schlussphase des entschiedenen Endspiels.