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Falsch war die Strategie also nicht gewesen. Da sie aber nicht aufgegangen war, musste Bilic am Ende des Spiels reagieren, und es lässt sich argumentieren, dass er überreagierte, als mit Perisic, Nikica Jelavic und Eduardo drei weitere Offensivspieler brachte. Das folgt der Logik von Berti Vogts, der bei Deutschlands WM-Aus gegen Kroatien (0:3) im Viertelfinale 1998 trotz Unterzahl ausschließlich Stürmer einwechselte, um das Spiel zu drehen. Dass vier oder fünf Angreifer auf dem Rasen aber nicht unbedingt ein funktionierendes Offensivspiel gewährleisten, musste gerade zuletzt erst wieder Russland in der Schlussphase gegen Griechenland erkennen.
Mit den Umstellungen kippte das Spiel zugunsten der bis dahin erfolgreich neutralisierten Spanier, die mehr Platz im nun nicht mehr so kompakten Mittelfeld erhielten und dann aus dieser Zone heraus mit Cesc Fabregas das Siegtor vorbereiteten. Spanien hatte - das wiederum eine gute Maßnahme von Vicente del Bosque - inzwischen Jesus Navas für die rechte Außenbahn gebracht, der dann auch das Siegtor erzielen sollte.
Dennoch war Bilics Taktik nachvollziehbar - sowohl in der Anfangs- wie auch in der Schlussphase des Spiels. Gegen Spanien kann man manchmal eben auch alles richtig machen und trotzdem verlieren.
4) Spanien - angeschlagen oder unschlagbar?
Von den letzten 45 Pflichtspielen unter Luis Aragonés und Vicente del Bosque hat Spanien zwei verloren: Gegen die USA im Halbfinale des Confederations Cups 2009 und in der WM-Vorrunde 2010 gegen die Schweiz. Bei aller Kritik an den Leistungen der Roja in der aktuellen Euro-Vorrunde kann man nicht übersehen, dass diese Mannschaft, wenn es drauf ankommt, faktisch seit 2006 kein wichtiges Spiel mehr verloren hat. Diese Serie hält an.
Man hat in den Spielen gegen Italien und Kroatien gesehen, wo man Spaniens Spiel stören muss: im zentralen Mittelfeld. Doch Kroatien verlor, Italien stand trotz toller Leistung am Ende auch dicht vor der Niederlage. Das lag nicht zuletzt daran, dass die Spanier mit zunehmender Spieldauer über größere Reserven verfügten als ihre Gegner - sowohl von der Bank wie auch in Sachen Kondition der Startelf. Die ersten Halbzeiten der drei Vorrundenspiele Spaniens endeten zusammen 1:0. Die zweiten Hälften 5:1.
In den nun anstehenden KO-Spielen sind taktische Erwägungen wie die oben beschriebenen hinfällig. Realistisch wird es für die meisten Teams, die nun gegen Spanien antreten, darum gehen, bis ins Elfmeterschießen ein Zu null zu halten. Und wenn sich vorher eine Konterchance ergibt, dann kann man ja immer noch sehen, was geht. Vor diesem Hintergrund sind taktische Disziplin, Kondition und Geduld essentiell.
Von den beiden wahrscheinlichsten Viertelfinalgegnern Spaniens besitzt die Ukraine diese Eigenschaften nach bisheriger Anschauung weniger als England. Ein Spiel zwischen Roy Hodgsons Chelsea-Imitat und Spaniens Barcelona-Stil wäre ein sehr interessanter Prüfstein für die aktuellen Thesen zum Defensivfußball, die wir seit Wochen diskutieren. Nehmen Sie sich am besten für den kommenden Samstag nichts vor.
Daniel Raecke