
Als der Elfmeter des Chilenen Gonzalo Jara halbhoch an den rechten Pfosten klatschte, atmete ganz Brasilien auf. Neymar und Daviz Luiz knieten gemeinsam auf dem Rasen und beteten - Torhüter Julio Cesar, dem Helden des Nachmittags, flossen die Tränen der Rührung über die Wangen. Die Selecao hatte in einem nicht hochklassigen, aber auch faszinierenden und mitreißenden Achtelfinale am Abgrund gestanden. Der WM-Gastgeber wankte und fand einen unerwarteten Retter.
1:1 (1:1, 1:1) hatte es nach 120 Minuten gestanden, 3:2 endete das Elfmeterschießen, in dem Julio Cesar zweimal hielt, Neymar den entscheidenden Treffer erzielte. "Für uns ein ganzes Land zu vertreten, ist ein unheimlicher Druck. Heute ist am Ende alles gut gegangen. Nur Gott und meine Familie weiß, was ich die letzten vier Jahre durchgemacht habe. Jetzt fehlen noch drei Stufen. Mein großer Traum ist es, Brasilien in einem großen Fest zu sehen", sagte der Torhüter. Und ergänzte, aufgelöst in Freudentränen: "Das ist mehr als Glück, was ich gerade verspüre! Das war psychologisch und emotional unheimlich schwierig. Ich danke den Fans, die uns so wunderbar unterstützt haben."
Unterdessen war auch Gonzalo Jara untröstlich. Der Verteidiger hatte bereits beim Führungstreffer der Brasilianer durch David Luiz den Ball praktisch selbst über die eigene Linie befördert (18.). Alexis Sanchez (32.) erzielte danach den Ausgleich für Chile. Pech hatten die Chilenen schon vor dem Elfmeterschießen: Der eingewechselte Mauricio Pinilla traf nach exakt 119 Minuten und 42 Sekunden die Latte. Danach scheiterten er und Sanchez im Elfmeterschießen an Julio Cesar, der die zwei Fehlschüsse von Willian und Hulk ausbügelte.
Fixpunkt Neymar
Die Chilenen scheiterten noch nach ihrem vierten K.o-Runden-Einzug nach 1962, 1998 und 2010 zum vierten Mal an den Brasilianern. Diesmal in einem Spiel, dass vor 57.714 Zuschauern in Belo Horizonte von Beginn an eine enorme Intensität hatte und das Publikum im Estadio Mineirao elektrisierte. Die Chilenen legten die gewohnte Wucht in jeden einzelnen Zweikampf, doch die Gastgeber hielten mit aller Macht dagegen.
Neymar war an fast jeder gelungenen Offensivaktion seines Teams beteiligt. Nach der Führung kontrollierten die Gastgeber das Spiel, angefeuert von 50.000 ethusiastischen Selecao-Fans, die eine riesige gelbe Wand bildeten. Blankes Entsetzen machte sich nach dem Ausgleich breit: Einen Einwurf von David Luiz spielte Hulk Eduardo Vargas in die Füße, der passte auf Sanchez, und der Star vom FC Barcelona schob den Ball ins linke Eck.
Brasilien ließ sich nicht beirren und drückte auf den erneuten Führungstreffer. Die größte Chance vergab Neymar (36.), dessen abgefälschter Kopfball um Zentimeter am Tor vorbeiflog. Dani Alves prüfte danach Chiles Torwart Claudio Bravo, seinen künftigen Klubkollegen beim FC Barcelona, mit einem Schuss aus 25 Metern. Auch Chile hatte vor der Pause durch Charles Aranguiz noch eine große Chance.
Hulk wird Tor aberkannt
Nach der Pause gab es in der 55. Minute den ersten Aufreger. Hulk erzielte das 2:1, doch souveräne Schiedsrichter Howard Webb (England) zeigte ihm Gelb, statt Tor zu geben. Der bullige Angreifer hatte bei der Ballannahme die Hand zur Hilfe genommen.
Chile blieb bissig, unnachgiebig und diszipliniert. Das beeindruckte auch die Brasilianer, bei denen immer weniger zusammenlief. In der 64. Minute bewahrte Julio Cesar seine Elf mit einer Klasseparade bei einem Schuss von Aranguiz vor dem Rückstand. Danach setzten die Brasilianer zum Schlussspurt an, doch Jo (74.), Neymar (81.) und Hulk (83.) verpassten das 2:1.
In der Verlängerung machte sich auf beiden Seiten Erschöpfung breit. Es gab kaum noch Torchancen, doch die knisternde Spannung hielt an.