"Bleiben Sie dran, ich pfeif auf Sie...", so verabschiedete sich einst Wigald Boning bei RTL Samstag Nacht. Mit Pfiffen verabschiedete das Publikum in Nürnberg auch Manuel Neuer, der sich einen Patzer leistete. sportal.de über eine ewige Unsitte im Sport.
Ja, Manuel Neuers Fehler gegen Kasachstan gehört nicht unbedingt in das Bewerbungsvideo des Bayern-Torwarts. Und ja, dieser Fehler war, wie eigentlich alle, vermeidbar. Aber: Nein, er hat keine Note 6 dafür verdient, wie es einige User in den Einzelkritiken fordern. Und vor allem muss man den eigenen Torwart bei einem klaren 4:1-Erfolg nicht auspfeifen.
Dieses Phänomen beschränkt sich nicht nur auf die Nationalmannschaft und deren Torhüter. Pfiffe gegen das eigene Team gehören in vielen Stadien zum (un)guten Ton. Nicht falsch verstehen, es gibt durchaus Anlässe für Fans den Unmut über die Mannschaft im Stadion zu bekunden. Eine Abstimmung mit den Mündern sozusagen. Aber - und das kann man nicht oft genug wiederholen - doch nicht wegen eines Fehlers bei einem 4:1.
Und das dazu nicht einmal beim Fehler oder nur unmittelbar danach, sondern über den Rest des Spiels hinweg. Vielleicht schwang bei den Pfiffen gegen Manuel Neuer aber auch der Hochmut mit, dass ein Gegner wie Kasachstan gefälligst mit einem halben Dutzend Toren und einer stehenden Null nach Hause geschickt werden sollte.
Pfiffe und andere Unmutsäußerungen: Der ausgebuhte Weihnachtsmann
So mancher Fan fühlt (und fühlte, das gab es nämlich bereits in der "guten, alten Zeit") sich schnell und gerne dazu berufen, seine eigenen Spieler mit Pfiffen zu begleiten, sollten diese in seinen Augen unverzeihliche Fehler gemacht haben. Meist sind es auch noch die Anhänger, die vor dem Anpfiff "You'll Never Walk Alone" aus voller Brust mitsangen.
Und man kennt ja mittlerweile seine Pappenheimer, so manche Fanschar scheint überhöhtere Ansprüche zu haben, als eine andere. Die Anhänger des DFB-Teams sind bei einem solchen Ranking durchaus dabei, wie neben dem jüngsten Beispiel Nürnberg auch andere Anlässe bewiesen.
Dabei treiben sie es nicht so sehr auf die Spitze, wie so manche andere berüchtigte Fans. Im US Sport sind beispielsweise die Anhänger in Philadelphia besonders gefürchtet. Denn die scheinen - in egal welcher Sportart - sich im Sport nicht an den Spitznamen der Stadt zu erinnern und verteilen statt brüderliche Liebe gegenüber ihren Spielern gerne einmal Buhrufe. Und machen dabei, so eine auch von mir gerne verbreitete Geschichte, auch vor dem Weihnachtsmann nicht halt.
Die Meistersänger: "Fields of Athenry"
Das andere Extrem des Fanverhaltens sind sicher die ewig Treuen, wie es die Iren bei der Euro 2012 oder die Fans des FC St. Pauli beim 1:8 gegen Bayern München 2011 taten und ebenso wie die heutigen Neuer-Auspfeiffer ihre Kritiker fanden. Roy Keane zum Beispiel, der seinen Landsleute nach dem 0:4 gegen Spanien das ewige Singen der "Fields of Athenry" ankreidete. Während der Rest Europas von den immer fröhlichen Iren schwärmte.
Gerade das Verhalten der irischen Fans ist für mich ein Parade-Beispiel, wie es laufen sollte, wenn man eingesehen hat, dass die eigene Mannschaft einfach nicht in der Lage sein kann, mit den Gegner mitzuhalten. Wenn also alles anpeitschen oder eben ausbuhen nichts helfen kann, weil es nicht geht. Soll man dann sein Team permanent durch Unmutsäußerungen zusammenstauchen? Oder eben die Zeit sinnvoller Nutzen und gute Laune verbreiten.
Was im Umkehrschluss nicht heißen soll, dass die Fans gefälligst als unkritische Masse bei den Spielen auftauchen und schlechte Leistungen des eigenen Teams schlucken sollen. Wenn die Lieblingsmannschaft lustlos spielt, natürlich darf dann gepfiffen werden. Und wenn sich ein eigener Spieler selbst - sei es durch Fehler oder sein Verhalten - ins sportliche oder moralische Abseits bringt und damit im schlechtesten Fall eine Niederlage verantwortet, eben auch.
Nur weil Fan sich von dem Wort Fanatiker ableitet, heißt es aber noch lange nicht, dass sich der geneigte Anhänger fanatisch verhalten soll und mit einem Schwarz-Weiß-Denken durch die Stadionwelt bewegt.
Sollte es einen Fan-Knigge für Pfiffe geben?
Trotz der langen Ausführungen zuvor: nein! Es sollte auch niemandem vorgeschrieben werden, wann und wie er seinen Unmut oder seine Freude zu äußern hat. Doch darf derjenige der seine Meinung auf eben diese Weise kundtut sich auch nicht wundern, wenn es ein Echo der anderen Geisteshaltung gibt.
Übrigens: Manuel Neuer wird heute 27. Mit unserem herzlichen Glückwunsch schwingt die Hoffnung mit, dass wenn heute für ihn gepfiffen wird, dies nur zur Melodie eines Lionel-Richie-Klassikers geschieht.