Als die letzten Pfiffe im kollektiven Jubel untergingen, durfte sich Julian Draxler in seinem alten Wohnzimmer doch noch einmal kurz zu Hause fühlen. Ein Schalker Sieger nach dem anderen nahm den verlorenen Sohn in den Arm. Die Ex-Kollegen sprachen dem Weltmeister Trost zu, ehe er sich zögernd den Verlierern des VfL Wolfsburg anschloss. "Es war schön, die alten Gesichter zu sehen", sagte der Rückkehrer, "aber generell war es ein Spiel zum Vergessen."
Das 0:3 (0:2) bei seinem FC Schalke 04 und der erneute Rückschlag im Kampf um einen Champions-League-Platz schmerzten mehr als der unfreundliche Empfang 159 Tage nach seiner Flucht aus Gelsenkirchen. "Es war alles im Rahmen", meinte der 22-Jährige, der Schlimmeres befürchtet hatte.
Pfiffe bei jeder Ballberührung, Jubel bei jedem Fehlpass, hämische Gesänge wie "Draxler hat die Hosen voll" - die Rückkehr war ungemütlich, die Stimmung aber längst nicht so feindselig wie vor viereinhalb Jahren gegenüber dem zu Bayern München abgewanderten Nationaltorwart Manuel Neuer.
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"Ich verstehe die Fans", sagte Draxler, der im Sommer nach 14 Jahren auf Schalke für die Vereinsrekordsumme von 35 Millionen Euro plus Bonuszahlungen nach Wolfsburg gewechselt war. Der sportliche Misserfolg an alter Wirkungsstätte setzte ihm mehr zu: "Wir haben ein ganz wichtiges Spiel 0:3 verloren, das ist am bittersten." Draxler war dafür mitverantwortlich. Nach ordentlichem Beginn war der begnadete Techniker regelrecht untergetaucht. Je stärker seine Ex-Kollegen wurden, desto mehr lief das Spiel an ihm vorbei.
Keine Lust auf die Tabelle
Ob auf seiner Lieblingsposition im zentralen Mittelfeld oder später auf der linken Seite - Draxler gewann kaum einen Zweikampf, setzte praktisch keine Akzente. Seinem einzigen Torschuss folgte im direkten Gegenzug die Schalker Führung durch Klaas-Jan Huntelaar (24.). Als er in der Mauer nur halbherzig hochsprang, schlug der Freistoß von Johannes Geis zum 2:0 ein (35.). Beim dritten Gegentreffer durch Alessandro Schöpf (87.) war klar: Draxler, beim Schalker 0:3 im Hinspiel noch in Königsblau, verlor als einziger beide Saisonduelle.
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Am Sonntagmorgen hellte sich Draxlers Laune auch nicht auf, denn Trainer Dieter Hecking bat die VfL-Profis zu einer straffen 100-Minute-Einheit mit intensiven Sprintläufen. Hecking zieht nach dem siebten Spiel in Folge ohne Sieg merklich die Zügel an. Er weiß: Seine Position ist nicht mehr so unumstritten wie noch am Ende der herausragenden Vorsaison.
Schalke-Trainer André Breitenreiter hat dagegen seine Kritiker vorerst verstummen lassen. Nach dem hart erkämpften 2:0 beim Aufsteiger Darmstadt 98 bezwangen die Schalker "endlich mal einen Großen", wie Breitenreiter zufrieden feststellte. Endlich jubelten auch Huntelaar und Geis: Der niederländische Torjäger - seit dem 4. Dezember eher ein Chancentod - hatte lange auf seinen 115. Pflichtspieltreffer für Königsblau warten müssen, Kunstschütze Geis auf sein erstes Freistoßtor noch länger.
Trost nahm Draxler mit, als er sein altes Wohnzimmer verließ - Mitleid für den unfreundlichen Empfang jedoch nicht. "Da hat einer freiwillig die Familie verlassen", meinte Schalke-Manager Horst Heldt, "das kommt nicht so gut an. Jetzt hat er ja ein Jahr Zeit."