Dementi statt Geständnis, Stillstand statt erstem Schritt zur Besserung: Russland bleibt im Dopingskandal nach einer kompletten Rolle rückwärts seiner harten Linie treu. Ein Bericht der New York Times, in dem russische Funktionäre überraschend erstmals systematische Manipulationen einräumten, wurde sowohl vom Kreml als auch der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA umgehend zurückgewiesen. Die Aufarbeitung des Skandals steht damit weiterhin ganz am Anfang.
"Wenn das das letzte Wort bleibt, sind wir genauso weit wie vorher. Es herrscht eine Wagenburg-Mentalität, die alle Beweise abstreitet", sagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), dem SID: "Der russische Sport disqualifiziert sich selbst."
Dabei schien die immer mehr in die Isolation driftende Sportnation angesichts der erdrückenden Beweislast aus dem zweiten McLaren-Report zunächst die Flucht nach vorne anzutreten. Monatelang hatten russische Funktionäre, Sportler und Politiker systematisches Doping geleugnet, nun legten die Äußerungen zumindest ein erstes Eingeständnis nahe. "Es war eine institutionelle Verschwörung", wurde RUSADA-Generaldirektorin Anna Anzeljowitsch in der New York Times mit Bezug zu den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi zitiert. Eine Kehrtwende. So schien es.
Doch die Hoffnung hielt nicht lange an. Am Mittwochmittag bezeichnete die RUSADA in einer Stellungnahme die Aussagen Anzeljowitschs als "verfälscht" und "aus dem Zusammenhang gerissen". Sie habe lediglich den zweiten Teil des McLaren-Reports zusammengefasst. So sei der Eindruck entstanden, dass die RUSADA die Existenz einer institutionellen Verschwörung bestätige, hieß es in der Mitteilung weiter.
Russische Regierung: "Unsere Position hat sich nicht verändert"
Zuvor hatte bereits die russische Regierung die Aussagen in der New York Times angezweifelt. "Unsere Position hat sich nicht geändert", sagte Sportminister Pawel Kolobkow der Nachrichtenagentur TASS und fügte an, Anzeljowitschs Aussagen seien womöglich falsch interpretiert worden. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow erklärte darüber hinaus vor Journalisten, die Aussagen auf ihre Richtigkeit prüfen zu wollen.
"Es war ein Hoffnungsschimmer, dass Frau Anzeljowitsch, die selbst in dem Skandal belastet ist, endlich die auf der Hand liegenden Fakten eingeräumt hat", sagte der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt dem SID: "Wenn es jetzt wieder ein Dementi gibt, scheint sie wieder zurückgepfiffen worden zu sein."
Rebecca R. Ruiz, die Autorin des viel beachteten Artikels der New York Times, verteidigte sich am Mittwochnachmittag energisch gegen die Vorwürfe, sie habe unsauber gearbeitet. "Alle Zitate in unserer Geschichte sind korrekt wiedergegeben", schrieb Ruiz bei Twitter. Mit den Aussagen russischer Offizieller ihr gegenüber habe sie Witali Smirnow, den von Staatspräsident Wladimir Putin eingesetzten Vorsitzenden des Anti-Doping-Ausschusses konfrontiert, ob dies korrekt sei. "Er sagte ja", erklärte Ruiz weiter.
Dennoch: Der Druck auf Russland wird immer größer. Weitreichende Reformen des Sportsystems und ein tiefgreifender Mentalitätswandel werden immer dringender. Beides ist bisher allerdings nicht zu erkennen. In etwas mehr als einem Jahr finden in Pyeongchang die Olympischen Winterspiele statt. Schon jetzt gibt es Forderungen, Russland komplett auszuschließen.
Generalüberholung des Systems
"Im Endeffekt muss das dortige Sportsystem komplett umgewälzt werden", sagte Prokop, der an seiner Forderung nach einem kompletten Bann Russlands bis zur Umsetzung der Reformen festhält: "Es besteht zwischen den Sportlern keine Chancengleichheit."
Ohnehin gerät Russland seit der aufsehenerregenden Veröffentlichung des zweiten McLaren-Reports, der die Beteiligung von mehr als 1000 russischen Athleten aus 30 Sportarten in das Dopingsystem feststellte, immer weiter in die Isolation. Zuletzt machten auch immer mehr Athleten mobil, um Wettkämpfe in Russland zu verhindern. In der Folge waren gleich mehrere Sportereignisse Russland entzogen, beziehungsweise von den dortigen Veranstaltern zurückgegeben worden. Unter anderem die Bob- und Skeleton-WM, die nunmehr am Königssee stattfindet.