
"Lynchjustiz!", "Hinrichtung!", "Skandal!" Nach dem WM-Ausschluss von Torjäger Luis Suárez stürmt Uruguay wütend in das WM-Achtelfinale gegen Kolumbien am Samstag. Imaginärer Gegner im Maracanã sind dann auch die "Regelherren" des Fußball-Weltverbandes FIFA.
"Nichts kann uns stoppen", brüllte Kapitän Diego Lugano den "Verschwörern" entgegen - völlig außer sich über das Urteil der Disziplinarkommission, die "Vampiro" Suárez nach dessen Beiß-Attacke gegen den Italiener Giorgio Chiellini für neun Spiele gesperrt hatte. Trainer Óscar Tabárez kündigte aus Protest gegen die Entscheidung seinen Rücktritt aus der Strategiekommission der FIFA an. Der Fall Suárez habe das gesamte Team "sehr berührt. In den letzten Stunden war nichts anderes in unseren Köpfen", sagte er sichtlich bewegt.
Lugano und Tabárez trafen den Nerv des Drei-Millionen-Volkes am Rio de la Plata. Dort wurde Suárez am Freitag bei seiner Ankunft frenetisch gefeiert. Hunderte Fans jubelten ihrem Helden zu und hielten Plakate mit Aufschriften wie "Luis, ganz Uruguay ist mit Dir" in die Höhe, als dieser aus einer Privatmaschine kletterte. Auch die Politik steht hinter ihm - und wetterte gegen die "böse" FIFA.
"Lynchjustiz im 21. Jahrhundert"
"Eine Lynchjustiz im 21. Jahrhundert", schimpfte Horacio Yanes. "Es fehlt nur der elektrische Stuhl. Eine Sache ist eine Strafe, die andere eine Hinrichtung", meinte Sergio Abreu. "Wenn die FIFA auch gegen sich selber so streng wäre wie gegen Luis, bliebe niemand in seinem Amt", sagte Ney Castillo.Der Verband hat bereits Einspruch gegen die Neun-Spiele-Sperre, die Geldstrafe in Höhe von 100.000 Franken (82.000 Euro) sowie die viermonatige Verbannung von Fußball-Aktivitäten eingelegt. Bei der WM wird Suárez auch im Erfolgsfall nicht mehr auflaufen.
Längst eine Staatsaffäre
Der Übeltäter will indes persönlich gegen das Urteil vorgehen. Im fernen Barcelona stellt sein Berater Pere Guardiola, Bruder von Bayern-Trainer Pep, bereits ein Anwalt-Team zusammen. Mit dabei: Alejandro Balbi, der Uruguays Verband in Rechtssachen vertritt und bei der FIFA-Anhörung in Rio de Janeiro vor Ort war. Weil der Jurist nur mit dem Personalausweis eingereist war, musste ihm das Konsulat in Rio für den Flug über Nacht eilig einen neuen Reisepass ausstellen. Aus dem Fall Suárez ist längst eine Staatsaffäre geworden.Nach dem Verlust des "Pistolero", der den zweimaligen Weltmeister nach der Auftaktniederlage gegen Costa Rica (1:3) mit seinen beiden Toren beim 2:1 gegen England erst wieder ins Turnier zurückgeschossen hatte, hofft Tabárez auf eine Trotzreaktion. So wie 1950, als Uruguay just im Maracanã Brasilien den schon bereitgestellten WM-Pokal entriss.
"Wir sind jetzt alle Suarez!"
"Unseren Fans verspreche ich: Wir werden alles geben!", sagte der Trainer. Tabárez dürfte Altstar Diego Forlán anstelle von Suárez aufbieten. Die Internetgemeinde hat jedoch eine andere Lösung für das Problem parat. "Wir sind jetzt alle Suarez!", schreiben die Fans bei Twitter. Auf dem Platz sollen "elfmal Suárez" gegen die ungerechte Welt und Kolumbien anrennen.Der Gegner will sich von der Aufregung nicht beeinflussen lassen. "Er ist schon wichtig für Uruguay, aber wir bereiten uns auf ein Spiel gegen Uruguay vor, nicht auf eins gegen ihn", kommentierte Mittelfeldspieler Fredy Guarín.
Zumal die Cafeteros sich bestens mit dem Ausfall eines Superstars auskennnen. Coach José Pekerman fand für den Verlust des verletzten Torgaranten Radamel Falcao schon in der Vorrunde taktisch und personell Antworten. Eine davon ist James Rodríguez, mit drei Toren neuer "El Pibe" (Junge) und Nachfolger des legendären Carlos Valderrama. Der hatte Kolumbien 1990 zum bisher einzigen Mal ins Achtelfinale geführt, scheiterte damals aber an Kamerun.