16 EM-Titel, 7 WM-Medaillen, Silber und Bronze bei Olympischen Spielen, dazu unzählige Erfolge bei deutschen Meisterschaften: Es gibt kaum etwas, das Timo Boll im Tischtennis noch nicht gewonnen und noch weniger, das er noch nicht erlebt hat. Vor seiner 15. Weltmeisterschaft im chinesischen Suzhou kribbelt es dennoch mehr denn je. Selbst Bundestrainer Jörg Roßkopf hat beobachtet: "Timo ist hier schon ein bisschen nervös."
Die Aufregung hat ihren Grund. Selten waren Bolls Chancen auf einen WM-Titel so groß wie in diesem Jahr. Am Dienstag startet der 34-Jährige gemeinsam mit dem chinesischen Weltranglistenersten Ma Long ins Turnier - wenig später folgt auch schon der ultimative Härtetest. Nach dem lockeren Auftakt gegen zwei Qualifikanten warten aller Voraussicht nach die chinesischen Ausnahmespieler Xu Xin und Zhang Jike auf das vom Weltverband stolz ausgerufene "Legenden-Doppel".
Eine denkbar ungünstige Auslosung, könnte man meinen, doch Boll schaut zuversichtlich nach vorne. Ganz nach dem Motto: Wer Weltmeister werden will, muss jeden schlagen. "Es ist fast angenehmer, gegen gute Leute schon früh im Turnier zu spielen", sagt Boll und redet sich Mut zu: "Wenn man erst im Halbfinale oder Finale gegen sie antritt, würde sich das innerlich noch anders anfühlen."
Innerlich ist der einstige "Staatsfeind Nummer 1" der chinesischen Tischtennis-Übermacht voll und ganz auf Erfolg eingestimmt, auch wenn im Einzel erneut die Ballkünstler aus dem Reich der Mitte Gold unter sich ausmachen dürften. Weil das seit zwölf Jahren immer so ist, und weil das selbst in China langsam langweilig wird, stehen nun Boll und Ma gemeinsam an der Platte.
Endlich mal wieder Gold?
Chefcoach Roßkopf, schwört seinen Schützling bereits auf die chinesische Tischtennis-Denke ein. "Wir fahren nicht zu einer WM, um ins Viertelfinale zu kommen. Die Gelegenheiten sind da. Wir denken maximal und versuchen auch, das Maximale herauszuholen", sagt "Mr. Tischtennis", der vor 26 Jahren in Dortmund gemeinsam mit Steffen Fetzner das letzte WM-Gold für Deutschland gewonnen hat.
Bolls Thronfolger Dimitrij Ovtcharov (26) hat diese Maxime längst verinnerlicht, der Weltranglistensechste und Olympia-Dritte von London rechnet sich gute Chancen aus, in den Kampf um die Medaillen einzugreifen. "Ich sehe meine Lebensaufgabe nicht darin, immer gegen die Chinesen in der Runde der besten Acht auszuscheiden", sagt Ovtcharov, der im Viertelfinale voraussichtlich Bolls Doppelpartner Ma schlagen muss, um erstmals auf das Podium einer Individual-WM zu klettern.
"Im ersten Augenblick war ich nicht sonderlich begeistert von meiner Auslosung. Aber inzwischen habe ich etwas Abstand dazu gewonnen", sagt Ovtcharov: "Es ist wichtig, dass ich mich auf mich selbst konzentriere. Wenn ich gut spiele, kann ich weit kommen." Im Training im modernen Suzhou International Expo Center, das Ovtcharov an die Messehallen-Atmosphäre von London 2012 erinnert, klappte es schon ganz gut. Gegen Boll gewann er souverän. Zum Einzel-Auftakt erwarten beide einen Qualifikanten, richtig ernst werden dürfte es erst am Freitag im Achtelfinale.