Über 15 Stationen bereitete Spanien das 1:0 gegen Italien vor - und hatte damit nach einer knappen Viertelstunde faktisch schon den Titel gewonnen. Warum das so war und wo wir uns von OIiver Kahns Einschätzung unterscheiden, finden Sie der sportal.de-Analyse.
Wann war das Finale der Euro 2012 entschieden? Nach einer Stunde, als der gerade als dritter Italiener eingewechselte Thiago Motta mit einer Muskelverletzung vom Platz getragen wurde und die Azzurri in Unterzahl einem 0:2 hinterherlaufen mussten? Oder doch schon vorher, nach dem 2:0 kurz vor der Pause durch Jordi Alba?
Nein. Faktisch war das Spiel zwischen Spanien und Italien nach 13 Minuten und 30 Sekunden entschieden. Da hatte David Silva gerade das 1:0 geköpft. Seit 2006 hatte Spanien in einem KO-Spiel bei Welt- und Europameisterschaften kein Gegentor mehr kassiert. Mehr als 60 1:0-Führungen in Folge hatte Spanien in einen Sieg münden lassen (wen interessiert, wie es geht: September 2006, Windsor Park, Belfast - Xavi hatte Spanien in einem EM-Qualifikationsspiel mit 1:0 in Führung gebracht, aber ein Hattrick von David Healy ließ Nordirland als 3:2-Sieger vom Platz gehen).
Logischerweise hätte Italien diesen knappen Rückstand noch ausgleichen können, in der Theorie. Aber jeder, der die erste Viertelstunde von Kiew gesehen hatte, spürte, dass hier der Welt- und Europameister so souverän auftrat wie bisher auch bei dieser EM - aber zugleich mit wesentlich mehr Mobilität und Direktheit im Passspiel, und nichts deutete darauf hin, dass ausgerechnet an diesem Abend Iker Casillas würde hinter sich greifen müssen. Sehen wir uns also das Tor genauer an, das Spanien auf den Kurs zur Titelverteidigung brachte.
1) 15 Stationen, die ausreichen, um Spaniens Klasse zu erfassen
Dem Chirurgen Jack Shephard wird in der dritten Staffel der TV-Serie Lost von seinen Kidnappern ein Video des World Series-Gewinns der Boston Red Sox gezeigt, um ihm zu demonstrieren, dass das Leben jenseits der einsamen Insel, auf der Jack gestrandet ist, weitergegangen ist. Hätte man dem armen Mann ein Video von Spaniens erstem Tor im EM-Finale 2012 gezeigt, dann hätte er wenigstens gewusst, warum diese Mannschaft, die früher keinen Blumentopf gewinnen konnte, inzwischen unschlagbar geworden ist.
Schon bevor der Spielzug über 15 Stationen begann, der im 1:0 münden sollte, begann die aufschlussreiche Vorgeschichte des Treffers. Gerade erst hatte Xavi an Andrea Pirlo vorbei einen Außenristpass in den Lauf David Silvas gespielt, den der fast bekommen hätte. Der Ball rollte aber zu Gianluigi Buffon, der das tat, was er in solchen Situationen gerne macht: Er gab ihn Pirlo. Pirlo nämlich lässt sich bei eigenem Ballbesitz oft zwischen die beiden Innenverteidiger fallen, um von dort aus in einer dann an ein 3-1-4-2 erinnernden italienischen Formation das Spiel aufzuziehen.