Die zunehmende Kritik aus der Heimat brachte Nadine Angerer vor ihrer Abschiedsvorstellung gehörig auf die Palme. "Das macht mich richtig sauer. Weil es immer leicht ist, Sachen von außen zu beurteilen", schimpfte die DFB-Spielführerin über die Störfeuer, die vor dem WM-Spiel um Platz drei gegen England am Samstag (22 Uhr im LIVE-TICKER) über den großen Teich Richtung Kanada kamen.
Besonders harsch äußerte sich nach dem Halbfinal-Aus gegen die USA (0:2) Trainer Colin Bell vom Champions-League-Sieger 1. FFC Frankfurt, der bei den deutschen WM-Auftritten Defizite in der taktischen Flexibilität sowie zu wenig (Wechsel-)Impulse in schwierigen Situationen von Bundestrainerin Silvia Neid bemängelte. "Welttrainer" Ralf Kellermann vom VfL Wolfsburg forderte Weiterentwicklungen im spielerischen und technischen Bereich.
Die Spitze des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) schaltete sich ein und zeigte sich in Person von Generalsekretär Helmut Sandrock "sehr verwundert" über die Kommentare aus der Liga. Neid, die als Spielerin, Co- und Cheftrainerin an allen zehn Titelgewinnen der DFB-Auswahl beteiligt war, genieße weiterhin "totales Vertrauen".
Zuvor hatte Angerer die Bell-Äußerungen vehement zurückgewiesen: "Ich sehe das komplett anders. Ich bin enttäuscht, dass nach einer Niederlage alles infrage gestellt wird, dass man dann am lautesten schreit." Die Torhüterin gab zu, dass ihr Team im Halbfinale wie in der ersten Hälfte gegen Frankreich im Offensivspiel maßlos enttäuscht hat: "Dafür kann man uns kritisieren. Aber wir haben hier starke Spiele gegen Weltklassegegner gemacht."
Neid hatte sich mit der Entscheidung angreifbar gemacht, nach dem 0:1-Rückstand gegen die USA nicht ihr Wechselkontingent für frischen Wind auszuschöpfen. Das Fehlen der verletzten Weltfußballerin Nadine Keßler sowie die im internationalen Vergleich extrem kurze WM-Vorbereitungszeit erwähnte allerdings keiner der Bundesliga-Coaches bei der Bewertung von Mannschaft und Trainerin, die bis nach Olympia 2016 an Bord bleibt und danach von der Novizin Steffi Jones abgelöst wird.
"Keine Zeit, wehmütig zu sein"
Ihren Abschied im 146. und letzten Länderspiel will Angerer sich nach zwei Jahrzehnten im Nationalteam nicht vermiesen lassen: "Es würde dem Turnier nicht gerecht werden, mit zwei Niederlagen nach Hause zu fahren. Dafür sind wir zu gut. Wir als Mannschaft wollen uns mit Platz drei auch belohnen, dann wird auch die Party umso besser."
Ganz realisiert hat die 36-Jährige, die nach der WM noch die Saison mit ihrem US-Klub Portland Thorns beendet und dann ganz aufhört, das bevorstehende Ende offenbar noch nicht: "Ich gehe in das Spiel wie in jedes andere. Ich hab keine Zeit, wehmütig zu sein." Die Weltfußballerin von 2013 bewies in Kanada ihre immer noch überragende Form und steht zurecht unter den drei Nominierten für den Goldenen Handschuh als beste Torhüterin des Turniers.
Bei Angerers Abtritt soll ein Sieg her gegen die "Three Lionesses", die als Halbfinal-Debütant gegen Titelverteidiger Japan denkbar unglücklich durch ein Eigentor in der Nachspielzeit 1:2 (1:1) verloren. "Ich hatte England vorher nicht in meinem Favoritenpool, aber sie haben sich im Turnier unglaublich gesteigert", sagte Angerer.
Spekuliert werden darf darüber, wer außer der Nummer eins im Commonwealth-Stadion auflaufen darf. Das kleine Finale wird gemeinhin genutzt, um auch Ersatzkräften WM-Einsatzzeit zu verschaffen. Nicht zur Verfügung stehen Dzsenifer Marozsan (Sehnenreizung im Sprunggelenk) sowie Lena Lotzen (Sehnenreizung in der Hüfte). Die weiße Weste gegen England soll gewahrt werden: In 20 Vergleichen hat der zweimalige Welt- und achtmalige Europameister noch nie verloren (18 Siege, zwei Remis).