John Degenkolbs schlechte Vorahnung hat sich bestätigt. Nach einer beispiellosen Quälerei bei teils chaotischen Zuständen war der Mailand-Sanremo-Sieger nicht imstande, seinen Vorjahrestriumph beim 77. Halbklassiker Gent-Wevelgem zu wiederholen. Von einem Sturz beim E3 Prijs in Harelbeke geschwächt und auch wegen eines Plattens in einem denkbar ungünstigen Augenblick hatte der Thüringer Radprofi in West-Flandern keine Chance auf eine erfolgreiche Titelverteidigung, ins Ziel kam er dieses Mal nicht.
Während Degenkolb schon weit vor dem Finale den Kontakt zur Spitze verlor, fuhr der 38-jährige Luca Paolini auf den 240 Kilometern zu seinem bisher wichtigsten Erfolg. Der italienische Routinier aus dem Team Katjuscha hatte in einer sechsköpfigen Spitzengruppe das größte Stehvermögen und bei seiner Attacke kurz vor dem Ziel auch den besten Riecher. Das Ausscheidungsrennen durch Regen, Wind und Kälte beendete kein Deutscher unter den besten Zehn.
Degenkolb war schon zuvor skeptisch gewesen, weil er die Nachwirkungen eines Sturzes beim E3 Prijs am Freitag mehr spürte, als ihm lieb war. Prellungen am linken Knie und der linken Hüfte machten dem Giant-Alpecin-Kapitän zu schaffen - und nicht nur die. "Ich habe viel mit dem rechten Bein kompensiert und deshalb jetzt auch dort muskuläre Schmerzen", sagte Degenkolb dem belgischen TV-Sender Sporza.
Dementsprechend zurückhaltend waren seine Erwartungen. "Ich fühle mich echt nicht super. Wichtig ist, dass ich gut durchkomme", fügte er hinzu. Immerhin war es Degenkolb am Freitag besser ergangen als dem Schweizer Fabian Cancellara, der zwei Wirbel brach und nun auf die Flandern-Rundfahrt sowie Paris-Roubaix verzichten muss, wo Degenkolb wieder glänzen möchte. Als er am Kemmelberg abgehängt wurde, lag das allerdings auch an einem defekten Reifen.
Zwischendurch heftige Böen
Im Vorjahr war dem 26-Jährigen Ähnliches bei Mailand-Sanremo passiert, diesmal eine Woche darauf dort, wo sich Degenkolb 2014 noch im Sprint einen großen Gruppe durchgesetzt hatte. Damals spielten jedoch auch die Verhältnisse mit. "Bei diesem Wetter", hatte Degenkolb am Vormittag vermutet, "kann alles passieren. So wie letztes Jahr wird es nicht." Wie recht der gebürtige Geraer haben sollte.
Auf empfindliche Kälte und Wind waren die Fahrer eingerichtet - aber nicht auf so heftige Böen, das Fahrer wie der Brite Geraint Thomas (Sky), der letztlich trotzdem Rang drei belegte, regelrecht vom Rad gefegt wurden. Es gab unzählige Stürze, der Belgier Gert Steegmans landete beispielsweise vom Wind abgetrieben in einen Wassengraben, verletzte sich aber nicht ernsthaft.
Das Feld zersplitterte früh in etliche kleinere Gruppen. Auch der britische Mitfavorit Mark Cavendish musste seine Hoffnungen begraben und verlor nach einem Sturz den Anschluss. Der frühere Tour-Sieger Bradley Wiggins stieg sogar vorzeitig aus, weil es ihm zu gefährlich wurde. Einer Katastrophe entging die Führungsgruppe zudem, als plötzlich ein Auto die Strecke entgegen der Fahrtrichtung befuhr. Der clevere Paolini jedoch, dessen größter Erfolg bisher ein Etappensieg beim Giro d'Italia war, trotzte sämtlichen Widrigkeiten.