Yusra Mardini gehört zu den zehn Athleten im Flüchtlingsteam bei Olympia. Ihr Leben im letzten Jahr war ein einziges Abenteuer.
Am Vormittag ist Yusra auf den Corcovado gestiegen, unterhalb der berühmten Christus-Statue haben sie und die anderen Mitglieder der ungewöhnlichsten Mannschaft der Olympischen Spiele für die Fotografen posiert. Ein paar Stunden später saß die 18-Jährige dann auf einem Podium, sie parlierte in fließendem Englisch vor der Weltpresse: ein eindrucksvoller Auftritt eines erstaunlich reifen Teenagers.
Die vergangenen zwölf Monate waren wohl die intensivsten im Leben von Yusra Mardini. Die zerstörten Häuser in Damaskus, die dramatische Flucht im lecken Schlauchboot über das Mittelmeer - und nun die Olympia-Teilnahme in Rio: Innerhalb eines Jahres hat sie es aus den Kriegswirren ihrer Heimat bis zu Olympia in Rio geschafft - eine Geschichte, die längst das Interesse von internationalen Filmemacher auf sich gezogen hat.
"Es gibt zwei Anfragen aus Hollywood, wenn auch noch von kleineren Agenturen", sagt Yusras Trainer, der Berliner Sven Spannekrebs dem SID. Und Yusra hätte offensichtlich nichts gegen den Sprung ins Showgeschäft einzuwenden. "Jetzt kommt erst Rio. Aber Film finde ich gut", erklärt die Schwimmerin. Dank ihrer positiven Ausstrahlung ist sie zum Glücksfall für das olympische Flüchtlingsprogramm wurde.
Riesiger Journalistenandrang
Über 100 Journalisten und zwei Dutzend TV-Kameras aus aller Welt waren da, als Yusra Anfang März zu einem Medien-Tag nach Berlin einlud. An diesem Wochenende dann eine Wiederholung in Rio. Mit ihrem Lächeln und dem guten Englisch meisterte die Lagen-Schwimmerin beide Male alle Klippen. "Bald brauchen wir noch einen Agenten", sagt Spannekrebs, derzeit Trainer und Manager in einem.
Yusra nimmt im zehnköpfigen Flüchtlingsteam, das am 5. August unter der Flagge des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ins Maracana einmarschieren wird, eine Sonderstellung ein. Sie steht wie keine andere für den Aufstieg in eine bessere Welt, sie verkörpert eine Art modernes Aschenputtel und liefert die passenden Antworten: "Ich will allen zeigen, dass man es trotz Krieg und Elend schaffen kann, wenn man an sich glaubt."
Anschluss bei den Wasserfreunden Spandau
Ihre offene und zupackende Art kam ihr bislang zugute. Wie in Damaskus, als sie mit ihr älteren Schwester Sarah die Flucht beschloss. Wie vor der griechischen Insel Lesbos, als ein Leck in ihrem Schlauchboot bei allen Insassen Todesangst auslöste. Schnell sprangen Yusra und Sarah ins Wasser und zogen das Boot mehrere Stunden bis an die Küste. Und wie in Berlin, wo sie sich schnell den Wasserfreunden Spandau anschloss.
In Spannekrebs fand Yusra ihren großen Helfer. Der Trainer hörte IOC-Präsident Thomas Bach in der UN-Versammlung sagen, dass man Flüchtlingen finanziell helfen wolle. Er schrieb an das IOC. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) schaltete sich ein. Als das IOC Anfang des Jahres ein Flüchtlingsteam bilden wollte, war Mardini eine von 43 Kandidaten und wieder mal zur rechten Zeit am rechten Ort.
Chancen auf eine Medaille hat Yusra nicht. Ihre Bestzeit auf ihrer Paradestrecke über 200 m Freistil liegt bei 2:11 Minuten - deutlich über der Olympianorm des Weltverbandes (2:03). Dass sie womöglich nur eine Vorzeigemarionette des IOC ist, das nach so viel Negativ-Schlagzeilen über Doping auf eine positive PR hofft, glaubt sie nicht. "Das Flüchtlingsteam würde auch ohne Yusra starten", sagt Spannekrebs.
In Rio wird Yusra gegen ihre alten Freundinnen aus Syrien schwimmen, die für ihr zerstörtes Land starten. "Ich habe kein Problem damit", sagt sie, "wir sind Freundinnen, aber im Wasser Gegnerinnen." Ihr Heimatland kann sie nicht repräsentieren bei diesen Spielen, aber, sagt sie mit Blick auf sich und ihre neun Kollegen im "Refugee Olympic Team": "Wir repräsentieren die Hoffnung."