Mit einem wunderschönen Tor von Jakub Blaszczykowski hat Polen nach Rückstand auch gegen Russland 1:1 unentschieden gespielt. Alan Dzagoev hatte die Sbornaya mit seinem dritten Turniertor in Führung gebracht. Beide Teams konterten sich gegenseitig aus, so dass 55.000 Fans in Warschau ein sehr unterhaltsames Spiel sahen.
Fußballspiele sind aufregender, wenn die Mannschaft, die den Ball hat, viel Platz bekommt, um ihn übers Feld zirkulieren zu lassen. Genauer: wenn der Platz sich in vertikaler statt in horizontaler Perspektive öffnet. Von dieser Grundvoraussetzung des Sports profitierte das zweite Gruppenspiel von EM-Gastgeber Polen in Warschau gegen Russland.
Ein Sieg hätte für die Mannschaft von Dick Advocaat, Russland, schon den Viertelfinaleinzug bedeutet, für Polen zugleich den Verlust der Kontrolle über das eigene Schicksal in dieser Hinsicht. So musste das Team von Franciszek Smuda relativ offensiv auftreten, und konnte es sich nicht leisten, den spiel- und konterstarken Russen mit einer abwartenden Strategie zu begegnen.
Dennoch merkte man den Weißen Adlern an, dass ihr unerklärlicher Einbruch gegen Griechenland Folgen hinterlassen hatte, und Polen war lange nicht bereit, alles nach vorne zu werfen. So ergaben sich für die spielerisch besseren Russen zwar immer wieder Kontergelegenheiten, aber nur selten konnten diese in Überzahl abgeschlossen werden.
Freistoßtor statt Kontertreffer
So entstand der russische Führungstreffer kurz vor der Pause aus einer Standardsituation. Marcin Wasilewski hatte gegen Yuriy Zhirkov einen Freistoß verschuldet, den Andrei Arshavin in den Strafraum trat, wo Alan Dzagoev per Kopf in den langen Winkel verlängerte. Es war Dzagoevs drittes Turniertor und Arshavins dritter Assist. Und es war verdient für die Gäste.
Aber Polen kam - genau invers zum ersten Gruppenspiel - stark verbessert aus der Kabine und hatte gleich eine gute Chance für Robert Lewandowski, der aber von Keeper Vyacheslav Malafeev clever abgedrängt wurde.
Das Spiel wirkte weiter oft so, als spielten beide Teams mit acht Feldspielern, so viel Platz bot sich bei Kontern. Idealtypisch zeigte sich das nach einer knappen Stunde, als Arshavin auf der linken Seite mit dem Ball über die Mittellinie hastete, einem Tackling auswich und eine Vier-gegen-drei-Situation erzeugte. Dann aber kam der Querpass des Zenit-Stars viel zu lasch, so dass Sebastian Boenisch ein Bein dazwischen bekam.
Konterausgleich statt Konterentscheidung
Im direkten Gegenangriff zog Jakub Blaszczykowski von rechts nach innen und traf, weil Sergei Ignashevich zu langsam reagierte, unbedrängt mit einem Traumtor von der Strafraumgrenze in den linken Winkel. Ein Unentschieden bedeutete für beide Mannschaften eine akzeptable Konstellation, obgleich Polen nun einen Sieg gegen die Tschechische Republik am Wochenende braucht, um die KO-Runde zu erreichen.
Doch nachdem sich ZDF-Kommentator Thomas Wark am Vortag schon von England - Frankreich an die Schande von Gijón erinnert gefühlt hatte (was ohnehin nicht passte, da Deutschland und Österreich 1982 auf Kosten Algeriens nach Erreichen des exakt richtigen Ergebnisses nicht mehr weiter gespielt hatten und nicht mit einem Unentschieden zum Auftakt zufrieden gewesen waren), gab es dazu in Warschau nicht den geringsten Anlass, den beide Mannschaften suchten bei Ballgewinn ohne viel Federlesens den Weg nach vorne.
Ein Tor für beide Teams lag so bis zum Ende in der Luft, aber letztlich blieb es beim leistungsgerechten Unentschieden, dass sich Russland durch seine Klasse, Polen durch seinen Kampfgeist verdient hatte. In der Tabelle der Gruppe A führt Russland nun mit vier Punkten und ist mit einem Unentschieden gegen Griechenland im letzten Gruppenspiel sicher im Viertelfinale, mit einem Sieg sicher als Gruppenerster. Polen muss gegen die Tschechen gewinnen, ein Unentschieden würde in jedem Fall das Aus für Smudas Team bedeuten.
Daniel Raecke