
Auf dem Platz benimmt er sich oft wie ein Irrer, doch eigentlich ist Pablo Osvaldo das Gegenteil: ein nachdenklicher, sensibler Mann voller Widersprüche, ein Star, der übertriebenen Starrummel hasst, auf der Flucht vor sich selbst ist und gerne noch Teenager wäre.
Wer hat sich bei großem Stress nicht schon einmal dabei erwischt, sich für einen kurzen Moment wehmütig an seine Kindheit oder Jugend zurückzusehnen. Was war das Leben damals doch unbeschwert. Pflichten und Verantwortung hatte man kaum und wenn doch einmal Probleme auftraten, hauten Mama und Papa einen schon wieder raus. "Childhood living is easy to do", heißt es treffend in "Wild Horses" von den Rolling Stones, dem Lieblingssong von Roma-Stürmer Pablo Daniel Osvaldo.
Diese Wahl kommt nicht von ungefähr. In "Wild Horses" geht es laut Keith Richards im übertragenen Sinne darum, "nicht auf Tour und schon gar nicht Millionen Kilometer von der Heimat entfernt sein zu wollen". Im Prinzip also um das beherrschende negative Lebensgefühl von Osvaldo, der in 13 Serie A-Einsätzen dieser Saison neun Treffer erzielte und derzeit eigentlich auf einer Erfolgswelle schwimmt. Doch weder was, noch wo er ist, will der gebürtige Argentinier eigentlich im Grunde seines Herzens sein.
Nicht in Italien, nicht getrennt von seinen Kindern, kein umjubelter und auf Schritt und Tritt verfolgter Star und schon gar nicht erwachsen. Täglich plage ihn das Heimweh, bekannte er kürzlich in einem sehr persönlichen Interview mit der italienischen Zeitung La Repubblica, aber noch mehr die Sehnsucht nach seiner jäh "unterbrochenen" Jugendzeit. "Ich würde das, was ich verloren habe, gerne noch einmal erleben, ich will einfach noch einmal ein kleiner Junge sein", äußerte der Mann mit dem Aussehen und der Vorliebe für Piraten seine größte Sehnsucht.
Osvaldo will nicht erwachsen werden
Seine unbeschwerte Jugendzeit endete 2006 abrupt im Alter von 19 Jahren. Sein Vater arbeitete in einer Metallfabrik, seine Mutter hatte im Zuge der argentinischen Wirtschaftskrise ihren Job als Chefkassiererin eines Supermarktes verloren, sodass Osvaldo die Chance wahrnehmen musste, sein fußballerisches Talent bei Atalanta Bergamo in Italien zu versilbern. Herausgerissen aus der Obhut seiner Familie, auf sich allein gestellt in einer ihm fremden Welt ohne Freunde und nennenswerte Sprachkenntnisse, war er eigentlich "gezwungen erwachsen zu werden".
Geklappt hat das aber bis heute nicht. "Ein Teil in mir wehrt sich dagegen", gibt der mittlerweile 26-Jährige zu und lädt den Hobby-Psychologen zur eifrigen Spekulation ein. Symbolisiert sein "The Wall"-Tattoo vielleicht die unsichtbare Mauer, die er zwischen sich und der Erwachsenenwelt errichtete. Ein Protest gegen das Erwachsenwerden auf die harte Tour? Fakt ist, Osvaldo ist ein Getriebener, der sich noch lange nicht gefunden hat. Er liebt sein Heimatland Argentinien, nahm aber die italienische Staasbürgerschaft an, um in der Nationalmannschaft auflaufen zu können. Einer der vielen Widersprüche seines Lebens.
"Ich denke immer, dass ich das Glück irgendwo anders suchen muss", erläutert er seine beinahe jährlichen Clubwechsel. Von Atalanta ging es über Lecce, Florenz, Bologna und Espanyol Barcelona zur Roma. Länger als eine Saison hatte er es bis dato nirgends ausgehalten, nie das gefunden, was er suchte. Was das genau sein könnte, kann er selbst ohnehin nicht in Worte fassen: "Es gibt immer etwas, was mir fehlt", bekennt er. "Ich in ein Verrückter", charakterisiert er sich selbst. "An einem Tag fühle ich mich stark, am nächsten Tag plötzlich nutzlos und wenig wert."