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Von: Malte Asmus
Datum: 03. Januar 2013, 07:25 Uhr
Format: Artikel
Diskussion:
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Roma-Stürmer Pablo Osvaldo: ''Verrückter'' mit ''Scheiß-Charakter''

Osvaldo,AS Rom
Pablo Daniel Osvaldo benimmt sich manchmal wie ein Kind

Auf dem Platz benimmt er sich oft wie ein Irrer, doch eigentlich ist Pablo Osvaldo das Gegenteil: ein nachdenklicher, sensibler Mann voller Widersprüche, ein Star, der übertriebenen Starrummel hasst, auf der Flucht vor sich selbst ist und gerne noch Teenager wäre.

Wer hat sich bei großem Stress nicht schon einmal dabei erwischt, sich für einen kurzen Moment wehmütig an seine Kindheit oder Jugend zurückzusehnen. Was war das Leben damals doch unbeschwert. Pflichten und Verantwortung hatte man kaum und wenn doch einmal Probleme auftraten, hauten Mama und Papa einen schon wieder raus. "Childhood living is easy to do", heißt es treffend in "Wild Horses" von den Rolling Stones, dem Lieblingssong von Roma-Stürmer Pablo Daniel Osvaldo.

Diese Wahl kommt nicht von ungefähr. In "Wild Horses" geht es laut Keith Richards im übertragenen Sinne darum, "nicht auf Tour und schon gar nicht Millionen Kilometer von der Heimat entfernt sein zu wollen". Im Prinzip also um das beherrschende negative Lebensgefühl von Osvaldo, der in 13 Serie A-Einsätzen dieser Saison neun Treffer erzielte und derzeit eigentlich auf einer Erfolgswelle schwimmt. Doch weder was, noch wo er ist, will der gebürtige Argentinier eigentlich im Grunde seines Herzens sein.

Nicht in Italien, nicht getrennt von seinen Kindern, kein umjubelter und auf Schritt und Tritt verfolgter Star und schon gar nicht erwachsen. Täglich plage ihn das Heimweh, bekannte er kürzlich in einem sehr persönlichen Interview mit der italienischen Zeitung La Repubblica, aber noch mehr die Sehnsucht nach seiner jäh "unterbrochenen" Jugendzeit. "Ich würde das, was ich verloren habe, gerne noch einmal erleben, ich will einfach noch einmal ein kleiner Junge sein", äußerte der Mann mit dem Aussehen und der Vorliebe für Piraten seine größte Sehnsucht.

Osvaldo will nicht erwachsen werden

Seine unbeschwerte Jugendzeit endete 2006 abrupt im Alter von 19 Jahren. Sein Vater arbeitete in einer Metallfabrik, seine Mutter hatte im Zuge der argentinischen Wirtschaftskrise ihren Job als Chefkassiererin eines Supermarktes verloren, sodass Osvaldo die Chance wahrnehmen musste, sein fußballerisches Talent bei Atalanta Bergamo in Italien zu versilbern. Herausgerissen aus der Obhut seiner Familie, auf sich allein gestellt in einer ihm fremden Welt ohne Freunde und nennenswerte Sprachkenntnisse, war er eigentlich "gezwungen erwachsen zu werden".

Geklappt hat das aber bis heute nicht. "Ein Teil in mir wehrt sich dagegen", gibt der mittlerweile 26-Jährige zu und lädt den Hobby-Psychologen zur eifrigen Spekulation ein. Symbolisiert sein "The Wall"-Tattoo vielleicht die unsichtbare Mauer, die er zwischen sich und der Erwachsenenwelt errichtete. Ein Protest gegen das Erwachsenwerden auf die harte Tour? Fakt ist, Osvaldo ist ein Getriebener, der sich noch lange nicht gefunden hat. Er liebt sein Heimatland Argentinien, nahm aber die italienische Staasbürgerschaft an, um in der Nationalmannschaft auflaufen zu können.  Einer der vielen Widersprüche seines Lebens.

"Ich denke immer, dass ich das Glück irgendwo anders suchen muss", erläutert er seine beinahe jährlichen Clubwechsel. Von Atalanta ging es über Lecce, Florenz, Bologna und Espanyol Barcelona zur Roma. Länger als eine Saison hatte er es bis dato nirgends ausgehalten, nie das gefunden, was er suchte. Was das genau sein könnte, kann er selbst ohnehin nicht in Worte fassen: "Es gibt immer etwas, was mir fehlt", bekennt er. "Ich in ein Verrückter", charakterisiert er sich selbst. "An einem Tag fühle ich mich stark, am nächsten Tag plötzlich nutzlos und wenig wert."

Spielmanipulierer einfach mal verkloppen

Deswegen ist Osvaldo allerdings weder "verrückt", noch hat er einen "Scheiß-Charakter", wie er selbst etwas provozierend erklärte, sondern immer noch permanent entweder auf der Suche nach oder auf der Flucht vor sich selbst. Er reflektiert wie ein Erwachsener, macht sich viele gute Gedanken über die Schattenseiten des Ruhms oder auch um gesellschaftliche Probleme wie Homosexualität im Fußball, handelt aber gleichzeitig am liebsten pragmatisch und intuitiv wie ein Kind. Mitspieler, die er bei Spielmanipulationen erwischt, würde er ganz einfach "verkloppen". Provokationen auf dem Platz beantwortet er ähnlich, wie neun Platzverweise in den letzten sechs Saisons bestätigen.

"Ich mache unsinnige Fouls, die mir aber in dem Moment völlig gerechtfertigt erscheinen", gestand er der Repubblica. Erst unter der Dusche kommt dann langsam die Einsicht. Aber schließlich sei er nicht der einzige der Fehler mache, nur müsse er sich im Gegensatz zu Medien und Fans dafür ständig rechtfertigen. "Nur weil sie Eintritt bezahlen, dürfen sie sich noch lange nicht alles erlauben. Ich verliere einen Ball und dann kotzt du mir deinen Hass entgegen? Das ist nicht normal", haderte er in GQ. "Wenn einer der Fans in seinem Job Fehler macht, darf ich dann dafür auch hauen, ihn mit Bananen bewerfen oder seine Mutter beleidigen?"

Der Wunsch nach Ruhe und Beständigkeit

Mit diesen Widersprüchen, aber auch der in Rom allgegenwärtigen Verehrung der Fans kann Osvaldo nur ganz schwer umgehen. Eigentlich würde er gerne ein ganz anderes Leben führen, vielleicht als Musiker oder Schriftsteller. In seiner Freizeit schreibt er Gedichte und Songs. Dann könnte er vielleicht auch wieder unbehelligt durch die Straßen laufen und wie einst in Barcelona mit einem Freund unerkannt auf einem öffentlichen Platz sitzen und ein bisschen auf der Gitarre klampfen, seine verlorene Freiheit wiedererlangen.

Doch gerade der Fußball gibt Osvaldo den benötigten Halt, ist einerseits Verbindung zu seiner verlorenen Jugend und andererseits das Ventil, mit dem er seine Unsicherheit und angestauten Selbstzweifel zumindest für 90 Minuten abstellen kann. Nur dann habe er innere Ruhe, dann hat sein Leben eine Ordnung, die er sich auch für sein Leben wünschen würde: "Eigentlich träume ich davon nur eine Frau zu lieben, eine Familie zu haben und an einem Ort sesshaft zu werden." Die bittere Realität sieht allerdings anders aus: Drei Kinder hat er von zwei Frauen, keins lebt bei ihm.

Doch die gewünschte Ruhe wird sich bei Osvaldo wohl erst dann einstellen, wenn er den wilden, umtriebigen Piraten in sich selbst gezähmt haben wird. "Ich muss erwachsen werden, ja. Aber das muss ich meinem Unterbewusstsein erst beibringen", gibt er zu. Dazu scheint er derzeit auf einem guten Weg zu sein. Die Roma ist der erste Club, in dem Osvaldo nicht nach einer Saison die Biege macht, sondern eine zweite bestreitet. Sollte er tatsächlich langsam erwachsen werden?