
In der Welt des Joseph S. Blatter gibt weiter nur der FIFA-Boss selbst den Ton an. Dem Schweizer Chef des Fußball-Weltverbandes ist es einmal mehr gelungen, öffentlichkeitswirksame Nadelstiche gegen seine Widersacher aus der Europäischen Fußball-Union zu setzen. UEFA-Präsident Michel Platini ließ er mit seinem Coup wie einen Schuljungen aussehen.Ausgerechnet der 78-jährige Blatter plauderte in einem FIFA-Video-Interview aus, dass die UEFA schon bei der EURO 2016 in Frankreich entgegen ihrer bisherigen Haltung die Torlinientechnik nach dem bislang gelungenen Verlauf bei der WM-Endrunde in Brasilien zum Einsatz bringen möchte.
"Ich habe mit UEFA-Präsident Michel Platini gesprochen, der mir gesagt hat, er wird die Torlinientechnik bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich einsetzen", sagte Blatter. Der Mann aus dem Wallis hatte damit im Dauerclinch mit den europäischen Spitzenvertretern mal wieder Pluspunkte gesammelt nach dem Motto: Die höchste Instanz im Fußball bleibt halt der FIFA-Präsident.
UEFA bisher für Torrichter
Platini sagte auf "SID"-Anfrage relativierend: "Für die EURO 2016 gibt es eine Chance, die Technik zu nutzen, aber immer zusammen mit den zusätzlichen Referees." Dies werde im Schiedsrichter-Komitee diskutiert, "dann trifft das Exekutivkomitee die finale Entscheidung", so der französische UEFA-Chef. Aber dementiert hat er Blatters Aussagen nicht. Laut UEFA-Sprecher Pedro Pinto sei Platini erfreut gewesen, dass die Torlinientechnik des Unternehmens GoalControl aus Würselen bei der WM in Brasilien so gut funktioniert habe.
Bislang war die UEFA ein strikter Gegner der Technik und setzte stattdessen auf Torrichter. Diese waren allerdings auch immer wieder aufgrund gravierender Fehler in die Kritik geraten, so bei der EM-Endrunde 2012 in Polen und der Ukraine.
Blatter gefällt sich indes in der Rolle des Fußball-Erneuers. Dazu passt sein Vorschlag auf dem FIFA-Kongress in Sao Paulo vor WM-Beginn. Da überraschte der FIFA-Chef mit seiner Ankündigung, den Videobeweis im Fußball einführen zu wollen.
DFL denkt über Videobeweis nach
Selbst die DFL ist auf den Zug aufgesprungen und will sich mit dem Thema beschäftigen, nachdem zuvor die Einführung der Torlinientechnik von den 36 Profi-Klubs in erster Instanz abgelehnt worden war. Immerhin soll es nun wieder neu für die erste Bundesliga diskutiert werden - vielleicht kommt aber auch der Videobeweis als große Lösung in der Bundesliga zum Zug.
DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und Bundestrainer Joachim Löw sind für die Torlinientechnik, aber gegen den Videobeweis. "Die Torlinien-Technologie hat sich bei dieser WM bewährt. Es gab zwei, drei Situationen, die vom menschlichen Auge wohl nicht erkannt worden wären", sagte Niersbach. Löw meinte: "Torlinientechnik ja, Videobeweis nein!"
Blatter sagte ganz konkret im FIFA-Interview zum Videobeweis: "Die Trainer sollten sogenannten Challenge Codes bekommen, dass sie zwei Szenen pro Halbzeit durch den Schiedsrichter am TV-Monitor überprüfen lassen können. Fouls, Elfmeter und Ähnliches. Bei Abseits funktioniert das nicht - man kann die Szene ja schlecht wiederholen lassen." Blatter möchte mit dem Videobeweis den Unparteiischen helfen: "Wir sollten ihnen ein weiteres Instrument an die Hand geben und damit für mehr Gerechtigkeit sorgen."
Blatter schon 2010 für Torlinientechnik
2010 hat Blatters Vorpreschen schon einmal funktioniert. Nach dem Treffer von Englands Star Frank Lampard bei der WM 2010 in Südafrika gegen Deutschland, als der Ball klar hinter der Linie aufsprang, aber trotzdem vom Schiri nicht gegeben wurde, hatte sich Blatter vehement für die Einführung der Torlinientechnik eingesetzt. Mit Erfolg. In Brasilien feiert das System seine WM-Premiere und hat sich bisher bewährt.
Selbst Platini hat anerkannt, dass sein Widerstand gegen die Torlinientechnik womöglich ein Fauxpas gewesen ist - und musste in Blatters Welt einmal mehr Lehrgeld zahlen.