Die titellose Zeit will für Deutschland einfach kein Ende nehmen. Nach der verdienten 1:2-Niederlage im EM-Halbfinale gegen Italien ist das Turnier für die Löw-Elf beendet, seit 1996 wartet der DFB auf einen großen Titel. Trotz der individuellen Klasse der Mannschaft fehlt einfach die Fähigkeit zum großen Wurf.
Deutschland ist bei der EM 2012 im Halbfinale gescheitert. Gegen Italien hielt die schwarze Serie, noch nie ein Turnierspiel gegen die Squadra Azzurra gewonnen zu haben. Italien spielt nach dem 2:1-Sieg am Sonntag im EM-Finale gegen Spanien, Deutschland reist mal wieder vorzeitig nach Hause.
Dabei hatte die deutsche Elf bisher in dem Turnier in Polen und der Ukraine überzeugend gespielt, gegen starke Italiener sorgten aber zwei individuelle Fehler für das vorzeitige EM-Aus. Deutschland, die Generation Lahm/Schweinsteiger und auch Bundestrainer Joachim Löw bleiben damit unvollendet, all die guten Ansätze der vergangenen Jahre verpuffen ohne Titelgewinn.
Matchwinner auf italienischer Seite war der nur schleppend ins Turnier gestartete Stürmer Mario Balotelli. Gegen Spanien im ersten Gruppenspiel wurde der Angreifer von Manchester City wegen seines Schlafwagen-Abschlusses noch verlacht, im Halbfinale zeigte er mit zwei Treffern seine ganze Klasse (20./36.). In der Nachspielzeit verkürzte Mesut Özil mit einem verwandelten Handelfmeter.
Der Kroos-Schachzug geht nur bedingt auf
Die interessanteste Frage vor dem Spiel war: Kommt die deutsche Aufstellung wieder vorzeitig an die Öffentlichkeit oder hat der meistgesuchte Maulwurf ausgedient? Diesmal schaffte Löw es, etwaige Überraschungen bis kurz vor dem Anpfiff geheim zu halten.
Und es blieb, wie erwartet, nicht bei der Startaufstellung aus dem Viertelfinale gegen Griechenland. Lukas Podolski kehrte für André Schürrle auf die linke Seite zurück, Mario Gomez ersetzte Miroslav Klose im Angriff und auf der rechten Seite kam Toni Kroos zu seinem ersten Startelf-Einsatz.
Früh war zu erkennen, was Löw mit diesem Schachzug vorhatte. Kroos besetzte gar nicht die rechte Seite, er rückte stets in die Mitte, um die Kreise von Regisseur Andrea Pirlo zu stören. Das klappte über weite Strecken, aber die Balance im deutschen Spiel ging durch diesen Schachzug etwas verloren. Spielentscheidend waren aber die individuellen Fehler in der Abwehr, die man sich auf diesem Niveau einfach nicht erlauben darf.
Gute Anfangsphase: Drei Torchancen
Durch die Sonderrolle von Kroos war das deutsche Spiel sehr linkslastig, das gesamte Mittelfeld rückte weg von der rechten Seite, auch weil Linksverteidiger Giorgio Chiellini seine Stärken nicht im Aufbauspiel hat. Pirlo aus dem Spiel nehmen, selbst früh attackieren, immer spielerische Lösungen suchen das waren die Vorgaben, die Löw seinem Team mitgegeben hatte.
Der Plan ging in der Anfangsphase vollkommen auf. Pirlo tat sich schwer, stattdessen wurde häufig Stürmer Mario Balotelli gesucht, der aber bei Mats Hummels sehr gut aufgehoben war. Auf der anderen Seite hätte es nach einer Viertelstunde mit drei guten Torchancen bereits 1:0 für Deutschland heißen können:
Nach einer Ecke war Hummels sichtlich überrascht, Pirlo klärte kurz vor der Linie (5.). Nach einer Flanke von Jerome Boateng konnte Gianluigi Buffon den Ball nicht festhalten und Andrea Barzagli hätte fast ins eigene Netz getroffen (12.), kurz darauf prüfte Kroos Buffon mit einem Distanzschuss (13.).
Balotelli bestraft zwei deutsche Fehler
Doch was nützt die ganze Überlegenheit, wenn erstens das Tor eben nicht fällt und hinten ein individueller Fehler brutal bestraft wird: Antonio Cassano düpierte auf der linken Seite Hummels, seine Flanke fand Balotelli, der gegen den ebenfalls schlecht postierten Holger Badstuber das Luftduell gewinnen und zur italienischen Führung einköpfen konnte (20.).
Danach war ein Bruch im deutschen Spiel zu erkennen. Die Spielentwicklung stockte, Italien konnte sich nun besser befreien und blieb selbst gefährlich. Zehn Minuten dauerte die Verarbeitung des Rückstands, dann gaben Boateng mit seiner zweiten starken Flanke (33.) und Sami Khedira mit einem sehenswerten Schuss (35.) zwei deutsche Lebenszeichen.
Doch wieder waren es die Italiener, die eiskalt zuschlugen: Nach einer Ecke stimmte die Rückwärtsbewegung der DFB-Elf nicht, Kapitän Philipp Lahm hob bei einem langen Pass von Ricardo Montolivo das Abseits auf, hechelte dann Balotelli hinterher und konnte den wuchtigen Schuss in den Winkel nicht verhindern (36.). Super Mario fand seine aus der Premier League bekannten Abschlussstärke, zum Verdruss der zahlreichen deutschen Fans im Warschauer Stadion, wieder und versenkte seine beiden Chancen wie ein ganz großer Stürmer.
Reus bringt neuen Schwung, aber nicht dauerhaft
Zwei seiner Umstellungen korrigierte der Bundestrainer in der Pause. Die blassen Podolski und Gomez blieben in der Kabine, dafür kamen Klose und Reus. Der Neu-Dortmunder ging auf die rechte Seite, dafür rückte Kroos nach links. Reus führte sich mit einem, wenn auch harmlosen, Schuss gut ein (48.), kurz darauf hätte Lahm seinen zweiten Turniertreffer erzielen müssen, schob den Ball aber weit über das Tor (49.).
Das machte Hoffnung, aber Italien ist für die gute taktische Organisation bekannt und die Zeit spielte bei einer Zwei-Tore-Führung eindeutig für die Squadra Azzurra. Auf deutscher Seite kam dann auch noch Pech hinzu, ein direkter Freistoß von Reus klatschte an die Latte (62.).
Doch danach blieben die großen Torchancen aus, auch wenn Deutschland weiter gut spielte. Stattdessen hätte Claudio Marchisio bei zwei Kontern für die endgültige Entscheidung sorgen können (67./75.), der Juve-Spieler verzog aber beide Male. Apropos Juventus, sechs Spieler des italienischen Meisters standen in der Startelf und stachen den mit sieben Spielern sogar etwas stärkeren Bayern-Block auf deutscher Seite aus.
In der Nachspielzeit keimte doch nochmal kurz Hoffnung, nach einem Handspiel von Balzaretti zeigte Schiedsrichter Stéphane Lannoy auf den Punkt und Özil verwandelte sicher. Wie schon in den Minuten zuvor warf das DFB-Team mit Torwart Manuel Neuer und Hummels in der Sturmspitze alles nach vorne, doch vieles blieb Stückwerk. Gegen diese Italiener ist ein Zwei-Tore-Rückstand einfach nicht aufzuholen.
Marcus Krämer