
Thomas Tuchel ist angeblich als Nachfolger von Huub Stevens bei Schalke 04 im Gespräch. Von Seiten der Königsblauen macht das kolportierte Interesse durchaus Sinn. In den Bereichen, in denen Stevens aktuell kritisiert wird, hat Tuchel seine großen Stärken.
"Völlig ausgeschlossen", versuchte Mainz-Manager Christian Heidel via Bild sofort alle Spekulationen über einen Wechsel seines Trainers im Sommer im Keim zu ersticken. "Wir sind uns zu 100 Prozent einig, dass das Projekt Mainz 05 für ihn noch nicht abgeschlossen ist"
Fakt ist aber, dass Tuchel schon vor einem Jahr auf dem Wunschzettel der Gelsenkirchener gestanden hatte, als Ralf Rangnick sein Amt wegen seiner Burn Out-Erkrankung niederlegen musste. Fakt ist auch, dass derzeit nicht klar ist, ob Huub Stevens seinen am Saisonende auslaufenden Vertrag auf Schalke überhaupt verlängern will. Fraglich zudem, ob die Königsblauen überhaupt noch daran interessiert sind.
Kritik an Stevens wächst
"Ich wollte mich eigentlich nicht mehr ärgern in den letzten Jahren auf Schalke, aber jetzt muss ich es doch", hatte Stevens noch vor einigen Tagen erklärt, nachdem trotz des Gruppensieges in der Champions League die Kritik gegen sein Team, aber auch ihn persönlich angesichts der aktuellen Negativserie in der Bundesliga immer lauter wurde.
Nicht nur Torjäger Klaas-Jan Huntelaar bemängelte die seiner Meinung nach viel zu defensive Ausrichtung der Mannschaft, mahnte mehr Mut zum Risiko an. Die Fans schimpfen in diversen Internet-Foren über eine "ideenlose Spielanlage", kritisieren, dass sich die Mannschaft unter Stevens ihrer Meinung nach nicht weiterentwickelt habe und klagen zudem über den psychischen und mentalen Zustand der Truppe und die Tatsache, dass Stevens nicht in der Lage sei, durch Wechsel oder Systemumstellungen entsprechen zu reagieren und ein Spiel noch zu drehen.
Stevens angebliche Schwächen sind Tuchels Kernkompetenz
Nimmt man diese konkreten Vorwürfe einmal für bare Münze, würde eine Verpflichtung von Tuchel auf Schalke durchaus Sinn machen. Zum einen ist er jung und damit ein Kandidat für einen langfristigen Aufbau bei den Königsblauen, zum anderen liegt genau in den bei Stevens kritisierten Punkten die Kernkompetenz des aktuellen Mainzer Trainers. Zwar legt auch Tuchel viel Wert auf eine geordnete Defensive, gleichzeitig aber auch auf aggressives Pressing und - nach Ballgewinnen - auf das schnelle Spiel in die Spitze.
Taktisch ist er zudem unheimlich flexibel und in der Lage, die Formation und Ausrichtung seiner Mannschaft individuell auf den nächsten Gegner auszurichten und so auf dessen Stärken die richtigen Antworten zu finden. Mit einer stetigen Rotation schafft er es auch, die Auswechselspieler bei Laune zu halten. Seine Fähigkeiten, mit gezielten Auswechselungen dem Spiel seiner Mannschaft neue Akzente zu versetzen, stellte er vor allem in der Saison 2010/11 unter Beweis, als Mainz regelmäßig durch Joker-Tore Punkte sichern konnte.
Große Umstellung für Schalke-Profis
Für die Schalker Spieler brächte der Wechsel von Stevens zu Tuchel allerdings eine gewaltige Umstellung mit sich. Gut, als etwas schwierig im Umgang gelten beide Trainer. Doch der Noch-Mainzer hat ein etwas anderes Selbstverständnis seiner Rolle als Coach. "Ich schreibe mich in der Hierarchie ganz unten auf, sehe mich in der Rolle des Dienstleisters für meine Spieler. Ich gebe ihnen die Hilfsmittel für bessere Leistungen, mache ihnen den Werkzeugkasten voll und hoffe, dass sie sich bedienen. Dazu ein respektvoller Umgang und nicht die Fehlerkultur hoch hängen. So kann man ewig weiter machen!", erklärte er laut bild.de.
Zudem zeichnet sich Tuchel durch eine äußerst moderne Trainingsgestaltung aus, die seinen Spielern in Sachen geistiger Flexibilität einiges abverlangt. Mit Hilfe von komplizierten Spielformen, berichtet spielverlagerung.de, versucht er sein Team auf komplexe Spielsituationen vorzubereiten. Das Trainingsfeld teile er dazu in verschiedene Bereiche auf, in denen jeweils völlig unterschiedliche Regeln gelten. Durch diese "bewusste Überforderung" will er den Spielern helfen, auch in der Drucksituation eines Spiels, schnell die richtige Lösung zu finden. Für die Schalker Spieler brächen neue Zeiten an. Allerdings auch für Tuchel.
In Mainz hat er relativ freie Hand, wird bei seinen Entscheidungen von Manager Heidel nach Kräften unterstützt und bestärkt. Präsident Harald Strutz hält sich zumindest in der Öffentlichkeit aus sportlichen Fragen weitgehend raus. Auf Schalke würde sich Tuchel mit einigen Mitrednern auseinandersetzen müssen. Horst Heldt, Aufsichtsratsboss Clemens Tönnies, um nur zwei zu nennen.
Würde der ehrgeizige Tuchel der Schalke widerstehen können?
Tuchel braucht nach eigener Aussage aber eigentlich ein intaktes Umfeld, um sich wohlzufühlen. Darüber hinaus seine Familie, um sich vom stressigen Alltag des Trainerjobs abzulenken. "Wir haben ein Haus mit Garten, in dem die Kinder spielen können, der Kindergarten ist nicht weit. Alles ist top!", beschrieb er kürzlich laut bild.de seine derzeitige persönliche Situation in Mainz. Hier sei er mittlerweile "zur Ruhe" gekommen. Zudem plant er bereits die neue Saison in Mainz. "Montagabend habe ich mir zum Beispiel Spieler-Videos angeguckt, mir schon Gedanken über die Kader-Planung für nächstes Jahr gemacht." Klingt nicht unbedingt, als würde Tuchel mit einem Club-Wechsel liebäugeln...
Allerdings wäre ein Stillstand auch nichts für den äußerst ehrgeizigen, laufend nach weiterer Verbesserung und Fortschritt strebenden Tuchel. Die Aufforderung "immer weiter gierig zu bleiben", ist daher sicherlich nicht nur an seine Mannschaft gerichtet. Schwer vorstellbar, dass er nicht irgendwann einmal seine unbestreitbaren Fähigkeiten auch gerne bei einem Club mit deutlich größeren finanziellen Möglichkeiten, aber auch schwierigerem Umfeld unter Beweis stellen wird. Für ihn wäre das der nächste logische Schritt. Das nötige Kleingeld, um Tuchel aus seinem noch bis 2015 gültigen Vertrag herauszukaufen, hätte Schalke sicher. Und bei einer gewissen Summe, müsste auch Manager Heidel schwach werden.