
Das war nichts! Ohne den Glanz des Weltmeisters hat Deutschland seinen ersten Matchball zum Einzug ins Achtelfinale der EM in Frankreich vergeben. Die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw kam mit Rumpelfußball nur zu einem 0:0 gegen Polen und verpatzte bei der Rückkehr ins Stade de France zum wiederholten Male ihr zweites Spiel bei einem großen Turnier.
"Wir können froh sein, dass wir 0:0 gespielt haben", sagte Abwehr-Chef Jerome Boateng, der zusammen mit Rückkehr Mats Hummels gut zu tun hatte gegen stets gefährliche Polen. Vor allem aber bemängelte er die mangelnde Durchschlagskraft in der Offensive. "Wir kommen nicht am Gegner vorbei, wir sind nicht gefährlich, das müssen wir verbessern, sonst kommen wir nicht weit", sagte Boateng im ZDF. "Jetzt müssen wir schauen, dass wir das letzte Gruppenspiel gewinnen, um als Grupenerster durchzugehen", ergänzte Toni Kroos.
Um sicher das erste Etappenziel ihrer Tour de France zu erreichen, braucht die Auswahl des DFB im Gruppenfinale gegen Nordirland am Dienstag im Pariser Prinzenpark mindestens einen Punkt. Rang drei hat Deutschland auf jeden Fall gesichert, unklar bleibt, ob es auch einer der vier besten Gruppendritten sein würde.
Der Weltmeister benötigte gegen widerspenstige und jederzeit gefährliche Polen bis zur 47. Minute, um überhaupt den ersten Schuss auf das Tor abzugeben. Der Versuch von Mario Götze, der erneut den Vorzug vor Mario Gomez erhalten hatte, war jedoch völlig harmlos. Kurz zuvor hätte der ehemalige Bundesliga-Profi Arkadiusz Milik beinahe für Polen getroffen (46.).
Vor 73.648 Zuschauern im Stade de France, wo Deutschland am 13. November wegen der Terroranschläge in Paris eine Nacht des Schreckens erlebt hatte, wurde Götze in der 66. Minute durch André Schürrle ersetzt, der bis dahin wenig gefährliche Thomas Müller rückte in die Spitze. Gleich darauf kam Gomez, der als Stoßstürmer aber auch nichts mehr bewirkte.
Hummels brauchte Anlaufzeit
Die Abwehr mit Rückkehrer Mats Hummels erwies sich als nicht immer sattelfest - wie schon beim 2:0 gegen die Ukraine zum Auftakt. Vor allem über die Seite von Jonas Hector kamen die Polen immer wieder zu gefährlichen Angriffen. Hinten entpuppte sich vor allem Michal Pazdan als schier unüberwindbar. Er gewann fast jeden Zweikampf gegen einfallslose Weltmeister.
Offensiv gelang Deutschland so gut wie nichts. Sami Khedira konnte im Mittelfeld keine Akzente setzen, Mesut Özil fiel nur in der 69. Minute auf, als er mit einem strammen Schuss Polens Ersatztorhüter Lukasz Fabianski prüfte. Toni Kroos war noch der präsenteste deutsche Spieler in der Zentrale. Müller dagegen rieb sich gegen die sehr standfeste polnische Abwehr auf.
Hummels hatte 26 Tage benötigt, um von seinem Muskelfaserriss zu genesen, den er im DFB-Pokal-Finale gegen den FC Bayern (3:4 i.E.) erlitten hatte. "Er ist vollkommen auskuriert", sagte Teammanager Oliver Bierhoff vor dem Spiel im ZDF, es sei selbstverständlich, dass er sofort "einen Stammplatz sicher hat, wenn er wieder fit ist".
Fit war er, aber Hummels wirkte anfangs ein wenig wackelig. An der Seite seines künftigen Münchner Klubkollegen Jerome Boateng kam er zunächst nicht gut und rechtzeitig in die Zweikämpfe, in der 19. Minute spielte er einen haarsträubenden Fehlpass in die Füße von Milik, der im Auftaktspiel der Polen gegen Nordirland (1:0) das Siegtor erzielt hatte.
Keine Überraschungsmomente
Dass auch Götze erneut von Beginn an spielte, begründete Bierhoff mit dem Wunsch, der Mannschaft früh Konturen zu geben: "Wir wollten Kontinuität reinbringen." So blieb die Personalie Hummels die einzige Änderung von Löw, der in seinem fünften Turnier erstmals einen Wechsel in der Anfangself aus dem ersten Spiel vornahm.
Das Vertrauen in Götze hätte sich fast nach wenigen Minuten ausbezahlt: Eine Flanke von Julian Draxler köpfte der 1,76 m große "falsche Neuner" aber aus guter Position über das Tor (4.). Kurz zuvor hatte Sami Khedira Gelb gesehen, weil er einen polnischen Konter mit einem Foul an Milik unterband. Milik war wesentlich besser im Spiel als Lewandowski.
Konter schienen ohnehin zum Matchplan der Polen zu gehören. Sie standen bei deutschem Ballbesitz sehr tief. Gegen dieses Bollwerk versuchte es der Weltmeister über die Flügel, vor allem über links mit Draxler und Hector, Lukasz Piszczek (Borussia Dortmund) erwies sich auf dieser Seite anfänglich als nicht standfest. Das Gleiche galt aber auch für Hector.
Hinten anfällig - und im Spiel nach vorne ohne die große Idee: Insgesamt fehlten im deutschen Spiel die Tempowechsel und Überraschungsmomente. Auch die Standards, die zuletzt so gut funktioniert hatten, waren beim Versuch, die Polen zu überlisten, kein probates Mittel.