
Die Alte Dame legte in der Hinrunde der aktuellen Saison einen fulminanten Ritt hin. Doch kann der Aufsteiger seinen steilen Aufstieg auch in der Rückrunde fortsetzen? sportal.de blickt voraus.
Selten ist ein Bundesliga-Aufsteiger mit mehr Vorschusslorbeeren in die Saison gestartet als die Hertha aus Berlin. Nicht verwunderlich, nach einem derart dominanten Auftritt in der letztjährigen Zweitliga-Saison. Bereits am 30. Spieltag wurde der direkte Aufstieg ins Oberhaus besiegelt.
Am Ende betrug der Vorsprung auf die zweitplatzierten Braunschweiger neun Punkte. Zum Relegationsplatz 3 waren es dieser gar 18. Mehr noch als dieser Punktevorsprung zeigte das spielerische Element der Herthaner, wie weit man tatsächlich von der Konkurrenz entfernt war. Eine Leistung mit dem unterschwelligen Statement: wir gehören nicht in diese Liga.
Alte Dame mit neuen Zielen
So ist es leicht zu erklären, dass nur wenige die Berliner auf den Stimmzetteln für die Wahl "Bundesliga-Absteiger 2014" mit einem Kreuz bedachten. Von einem möglichen Abstieg der beeindruckend gut aufgelegten Herthaner dürften mit Hinblick auf die bereits 28 eingeheimsten Punkte wohl nur noch die größten Pessimisten sprechen. Während die damalige Mitkonkurrenz um den Aufstieg aus Braunschweig ihre sportlichen Grenzen offenbar erreicht hat, scheint die Hertha ihre eigenen neu ziehen zu müssen.
Mit Ausrufezeichen in die Winterpause
Hertha BSC begann die 31. Bundesliga-Hinrunde der Vereinsgeschichte so, wie sie beendet wurde - mit einem Knalleffekt. Am 1. Spieltag fegte man daheim die Frankfurter Eintracht mit 6:1 vom Platz. Abschließen konnten die Herthaner die Hinserie mit einem starken Auftritt bei Vize-Meister und Champions League-Finalist Borussia Dortmund (2:1).
Dazwischen brachten gute und weniger gute Auftritte der Hertha 6 Siege, 4 Unentschieden und 5 Niederlagen ein. Platz 6 zur Rückrunde markiert das Ende dieses Zahlenspiels und gleichzeitig das eigentliche Ausrufezeichen hinter Herthas Hinrunde. Lässt man das frühe Ausscheiden im DFB-Pokal beim 1. FC Kaiserslautern (1:3), wo man sich durch den Verzicht diverser Stammkräfte geradezu selbst aus dem Wettbewerb rotierte, außen vor, so haben Jos Luhukay und seine Mannschaft bisher vieles richtig und wenig falsch gemacht.
Luhukay setzt auf die richtigen Pferde
Angefangen mit den Personalentscheidungen. Letzte Saison mit 18 Toren noch einer der Aufstiegshelden, fand sich der Brasilianer Ronny in der Hinrunde häufig auf der Bank wieder. Dieser verlor seinen Stammplatz, nachdem er in desolatem körperlichen Zustand aus dem Sommerurlaub zur Hertha zurückgekehrt war und Luhukay so zwang, seine erste elf für den Saisonstart umzubauen. Eine unpopuläre, aber mutige Entscheidung.
So setzte er im Mittelfeld auf Änis Ben-Hatira (3 Tore), Sami Allagui (6 Tore) oder auch Eigengewächs Nico Schulz, die ihre Aufgaben überwiegend mehr als ordentlich erledigten und großen Anteil am derzeitigen Aufschwung der Berliner haben. Dazu gehört auch der zu Saisonbeginn vom HSV ausgeliehene Per Skjelbred, den man in Hamburg schon als "Norwegens Supertalent" verspottete, nachdem dieser durch ein nationales TV-Format Berühmtheit erlangte, auf dem Platz selbige aber selten rechtfertigen konnte.
Auch Herthas Defensivverbund um Fabian Lustenberger, Sebastian Langkamp, Peter Pekarik oder auch Torwart Thomas Kraft kann sich mit bisher 20 Gegentoren mehr als sehen lassen. Mit Adrian Ramos stellt der Aufsteiger zudem einen der gefährlichsten Torjäger der Hinrunde. 11 Saisontore konnte der Kolumbianer bereits für sich verbuchen und liegt damit an der Spitze gleichauf mit Dortmunds Star-Stürmer Robert Lewandowski. Zudem führt er derzeit mit einem Notendurchschnitt von 2,85 auch die Liste der Stürmer im sportal.de-Spielerranking an.
Das System Luhukay
Doch so sehr sich auch die einzelnen Mannschaftsteile der Hertha gekonnt zu einem soliden Bauwerk zusammenfügen mögen: jedes Gebilde ist immer nur so stabil wie sein Fundament. Dass die Mannen von Jos Luhukay derzeit scheinbar nichts ins Wanken bringen kann, ist vor allem ein Verdienst von Luhukay selbst, der es in dieser Saison geschafft hat, seine Idee vom modernen Fußball noch weiter zu kultivieren.
Kennzeichnend für das System 'Luhukay' ist dabei das, was Jürgen Klopp einst den "besten Spielmacher der Welt" nannte: Das aggressive Gegenpressing. Dadurch konnte der Gegner früh gestört und an der Entfaltung seines eigenen Aufbauspiels gehindert werden. Durch eine variable Manndeckung, die eine ad hoc-Reaktion auf die sich wechselnde Spielweise des Gegners ermöglichte, konnte dessen Aktionsradius weiter eingegrenzt werden.
Aus dieser Verknappung des Raumes ergaben sich für die Hertha selbst neue Räume, die Dank schnellen Umschaltens nach Ballgewinn Möglichkeiten zum Kontern boten. Auch durch ihr durchdachtes und kreatives Aufbauspiel wussten die Berliner in der Hinrunde zu gefallen.
Nach dem Auftritt bei den Bayern am 10. Spieltag (2:3), ließ es sich deren Trainer Pep Guardiola nicht nehmen, seine Anerkennung für das Spiel der Alten Dame zum Ausdruck zu bringen. "Berlin war die beste Mannschaft, gegen die wir bisher gespielt haben", so der Star-Coach.
Ramos - Erfolgsgarant und Lebensversicherung zugleich?
Doch so gut das System Luhukay insgesamt bisher auch funktionierte: Die Abhängigkeit von Ramos ist unverkennbar - und birgt im Kampf um die Europapokal-Plätze ein Gefahrenpotential. Keines der Spiele, in denen der Kolumbianer nicht unmittelbar an einem Tor beteiligt war, konnte von der Hertha gewonnen werden. Genau andersherum verhielt es sich, wenn Ramos einen Treffer erzielte: In allen acht Spielen, in denen ihm dies gelang, verließ die Hertha den Platz als Sieger.
Grund zum Feiern, auch ohne Europa
Ob die Berliner ein eventuelles Formtief, eine Sperre oder auch Verletzung ihres Topscorers kompensieren können, bleibt abzuwarten, ändert hingegen nichts an der Beantwortung folgender Frage: Wird es Hertha BSC gelingen, Platz 6 in der Rückrunde zu behaupten und damit Luhukays Traum von der Europa League zu erfüllen? Nein, wird es nicht.
Doch weniger der eigenen Qualität, als viel mehr dem Potential der insgesamt stärker besetzten Schalker und Stuttgarter ist es am Ende geschuldet, dass sich die Hertha mit einer Position jenseits der Europapokal-Qualifikation wird begnügen müssen. Etwas zu feiern gibt es dennoch: die beste Bundesliga-Saison der Vereinsgeschichte nach einem Wiederaufstieg. sportal.de sagt: Platz 8 für die Hertha. Ein steiler Aufstieg.