
Geschichte wird im Fußball ja oft geschrieben. Aber selten drückt der Fußballgott dabei so fest mit dem Füllfederhalter auf wie in dieser Woche. Nach Dortmunds Sieg muss man sich fragen: Ist das Verhältnis von Deutschland und Spanien im Fußball umgekehrt worden?
Es ist eine historische Champions League-Woche für die Bundesliga. Die beiden Vier-Tore-Siege in den Halbfinalhinspielen gegen die beiden spanischen Giganten können in ihrer Wirkung durchaus mit den Siegen gegen Argentinien und England verglichen werden, mit denen die deutsche Nationalelf ihre Rückkehr in die Weltspitze ankündigte. Mit dem Unterschied, dass anders als die Elf von Joachim Löw mit großer Wahrscheinlichkeit ein deutsches Team den Titel in der Königsklasse gewinnen wird.
Wie ist das 4:1 von Dortmund als Nachfolger des 4:0 von München einzuordnen? Einige Gedanken:
1) Die beste deutsche Champions League-Saison aller Zeiten fällt mit den größten Unterschieden innerhalb der Bundesliga zusammen
Kein Zufall: Die von Uli Hoeneß beschworenen "spanischen Verhältnisse" in der Bundesliga führen nebenbei zu nicht mehr so spanischen Verhältnissen in der Champions League. Dass internationale Konkurrenzfähigkeit bedeutet, dass man zu Hause in einer anderen Liga spielt, leistungsmäßig gesehen, erleben gerade Bayern und Dortmund. Der deutsche Clubfußball hat, mindestens so sehr wie die DFB-Auswahlteams, einen großen Schritt nach vorne gemacht.
Dieser Schritt ist vor allem im Fall des FC Bayern kein plötzlicher Satz, sondern eine sich seit drei Jahren beschleunigende Bewegung, in Gang gesetzt nicht zuletzt von Louis van Gaal, dem Entdecker von Thomas Müller, David Alaba und Holger Badstuber. Bayerns nach menschlichem Ermessen sicheres drittes Finale in vier Jahren lässt sich kaum als Überraschung bezeichnen. Beim BVB sieht das schon anders aus. Auch hier gab es durch die Spiele in Manchester und gegen Real Madrid in der Vorrunde Hinweise auf das Potenzial, aber offenkundig hat gerade erst jetzt im Frühjahr noch einmal ein neuer Wachstumsschub eingesetzt.
2) Bayerns Zukunft, Dortmunds Zukunft
Dem Wechsel Mario Götzes nach München ist es zu verdanken, dass die ziemlich anstrengende PR-Arbeit von Uli Hoeneß, der angeblich in Sorge um die Leistungsunterschiede in der Bundesliga war, tatsächlich aber hinter den Kulissen daran arbeitete, diese noch weiter zu vergrößern, einstweilen ein Ende gefunden hat. Ob der Wechsel ausgerechnet in dieser Woche publik werden musste, um von negativeren Schlagzeilen abzulenken, darüber mag jeder seine eigenen Theorien haben. Das ist hier aber nicht unser Thema, sondern die Auswirkungen auf die kommenden Jahre.
Der Eindruck, wir hätten gerade den Beginn einer neuen Bayern-Ära erlebt, hat sich unter den meisten europäischen Zeitgenossen ausgebreitet wie ein Lauffeuer. Dass diese Thesen gehandelt werden, bevor diese Ära einen einzigen internationalen Titel gezeitigt hat, kann man voreilig nennen. Aber wer will ernsthaft daran zweifeln, dass Bayern ins Finale einzieht und dort auch Borussia Dortmund schlagen kann oder wird?
Ob sich die Ära dann auch in den nächsten Jahren so entwickelt, dass man dereinst vom FC Bayern der 2010er Jahre genau so ehrfürchtig sprechen wird wie vom FC Barcelona der 2000er, bleibt natürlich abzuwarten. Die Voraussetzungen sind da, aber ein Trainerwechsel in dem Moment, da eine mögliche Ära gerade angefangen hat, ist nicht ohne Risiko. Ein Trainerwechsel nach einem Treble ist so undankbar für den neuen Mann, dass man beobachten muss, wie Pep Guardiola damit umgehen kann.
Für Borussia Dortmund stellt sich die Sache ganz anders dar. Gut möglich, dass der aktuelle Triumph zugleich auch der Zenit dieser wunderbaren Mannschaft ist, die weiter dabei ist, wichtige Bestandteile zu verlieren. Nuri Sahin, Shinji Kagawa, Mario Götze und Robert Lewandowski - die Liste der Abgänge zeigt, welch großer Unterschied zwischen Bayern und Dortmund besteht. Der BVB ist transferpolitisch nicht auf Augenhöhe mit den Münchnern, die wiederum demonstrieren, dass sie bereit sind, die nächste finanzielle Stufe zu zünden und Transfers tätigen, die es in diesem Ausmaß vor fünf Jahren noch nicht gegeben hätte - von Martínez über Guardiola bis hin zu Götze.
Sportlich ist Jürgen Klopps Team zumindest momentan ganz oben angekommen, Wenn aber ein englischer Topclub anklopft, dann werden die finanziellen Unterschiede, vor denen Bayern keine Angst mehr haben muss, in Dortmund immer noch sehr schnell deutlich. Damit wir nicht nur eine Bayern-Ära, sondern auch eine Bundesliga-Ära erleben, muss noch einiges passieren.
3) Wird Deutschland jetzt eigentlich auch Weltmeister?
Dass der deutsche Fußball in den letzten Jahren dem spanischen unterlegen war, wird niemand bestreiten können. Dass sich das in dieser Saison klar geändert hat, ebenso wenig. Praktisch ausschließlich Spieler, die im Champions League-Halbfinale standen, bilden die deutsche Nationalmannschaft. Die Kombination der fußballerischen Qualitäten mit extremer Schnelligkeit und irrwitziger Kondition bei Dortmund, mit taktischer Brillanz bei den Bayern scheint der spanischen Routine überlegen zu sein.
So wenig Nationalmannschaftsfußball mit den Clubteams zu tun hat, so unwahrscheinlich ist es doch, dass Spaniens aktuelle Probleme in Barcelona und Madrid ohne Auswirkung auf die WM 2014 bleiben. Bis dahin ist es allerdings noch ein gutes Jahr hin, und man soll den Tag weder vor dem Abend noch vor den Rückspielen loben.