
1891 beschlossen die Brasilianer, eine neue Hauptstadt zu bauen: Brasilia! Felix Magath entwarf 2009 beim VfL Wolfsburg ein Meisterschaftsteam auf dem Reißbrett und will dies nun wiederholen. sportal.de übertuchelt nicht, aber prophezeit die Überraschung.
Prognose (Best Case): Der VfL Wolfsburg wird Dritter
Was haben Thomas Tuchel und Felix Magath gemein? Auf den ersten Blick nicht viel. In der veröffentlichten Meinung gilt Tuchel als taktikbesessen und Magath als Fitness-Fanatiker. Warum wir dann einen Artikel über den VfL Wolfsburg mit Thomas Tuchel beginnen? Ganz einfach, der Mainzer Trainer tippte in eine Umfrage des kickers unter den Bundesligatrainer als einziger Übungsleiter auf den VfL Wolfsburg als Meister.
Um es klar zu sagen: So weit wollen wir nicht gehen und dennoch ist Wolfsburg unser Gladbach der Saison 2012/2013. Wir werden also am Ende der Saison Thomas Tuchel zur Prognosen-Queen der Liga küren, uns selbstverliebt die Schultern tätscheln, oder dem Papiertiger Tuchel einen Pappkarton überwerfen, der noch Platz für den einen oder anderen sportal.de-Redakteur bietet. Genug der Vorrede - dringen wir in die Materie ein.
Der VfL Wolfsburg hat in der letzten Saison 60 Gegentore kassiert, nur Freiburg (61), Hertha BSC (65) und Köln (75) waren schlechter. Felix Magath probierte es in der letzten Spielzeit mit 13 Spielern auf den vier Abwehrpositionen (Alexander Madlung, Christian Träsch, Marco Russ, Simon Kjaer, Hasan Salihamidzic, Felipe Lopes, Ricardo Rodriguez, Makoto Hasebe, Patrick Ochs, Chris, Sotirios Kirgiakos, Bjarne Thoelke, Marcel Schäfer)
"Offense wins games, defense wins championships", erinnerte sich Magath und legte in der Verteidigung den Geld-Hebel an. Der Transfer-Houdini holte flux mit Naldo (4,8 Millionen Euro), Emanuel Pogatetz (2,5 Millionen Euro) und Fagner (3 Millionen Euro) eine fast komplett neue Abwehr. Dabei sind Naldo und Pogatetz sehr erfahrene Profis, die keine Eingewöhnungszeit brauchen und der Abwehr tatsächlich neuen Halt geben können. Im Mittelfeld und Offensive ist der VfL ohnehin gut besetzt.
"Diego ist ein Mann für Champions-League-Ambitionen", lobte Magath den sensiblen Spielmacher, der sich aufgrund mangelnder solventer Abnehmer wieder in Wolfsburg angesiedelt hat. Der Spielmacher gehört in Topform zu den herausragenden Akteuren in der Bundesliga. Petr Jiracek hat nicht zuletzt bei der EM seine Klasse unter Beweis gestellt. Im Sturm ist Felix Magath nach der Verletzung von Patrick Helmes zum Umdenken gezwungen. Dabei reagierte der Trainer nicht reflexartig mit dem Scheckbuch, sondern setzt auf die Selbstheilungskräfte des Kaders.
"Wir gucken, dass wir aus der aktuellen Truppe eine schlagkräftige Mannschaft für den Bundesliga-Start entwickeln", so Magath gegenüber waz-online.de. "Wenn etwas überraschend wegfällt, entsteht ein Vakuum, in das andere Spieler drängen", philosophierte der Coach. "Wir haben aber keinen zweiten Helmes geklont, daher müssen andere Spielertypen zur Geltung kommen." Vergessen Sie die Medizinbälle, die Scheckbuchmentalität - Felix Magath ist ein Taktikfuchs - womit wir wieder bei Thomas Tuchel wären.
"Auch wenn wir den Test in Wolfsberg verloren haben, nehme ich die Erkenntnis mit, dass dieses holländische System, was wir dort gespielt haben, momentan die beste Variante für uns ist." Der Kader bietet Magath allerdings auch die Möglichkeit, dem Ausfall von Helmes mit einer System-Wende zu begegnen. Mit Ivica Olic, Ashkan Dejagah, Yohandry Orozco, Vieirinha und Vaclav Pilar hat Magath die Spielertypen für dieses System. "Wir spielen auch den Test am Samstag im 4-3-3. Daraus ergibt sich eine Mannschaft für das Pokal-Spiel. Und wenn sich das dort dann positiv entwickelt, hat das System auch Perspektive für die Bundesliga."
Eine erfahrene Abwehr, die höheren Ansprüchen genügt, ein starkes Mittelfeld um Diego und Jiracek und ein breit besetzter Sturm, der mit viel Qualität mitbringt lässt uns nicht zum Übertucheln neigen, aber zu dem Glauben, der VfL wird das Überraschungsteam der Saison und landet im besten Fall auf Platz drei - es sei denn
Absturzgefahr (Worst Case): Graue Wölfe im Mittelmaß (Platz 10)
es steht keine Mannschaft auf dem Platz. In der letzten Spielzeit liefen die Wölfe als führungsloses Rudel durch die gegnerischen Stadien. Drei Spiele konnten auswärts nur gewonnen werden, bei elf Niederlagen in der Fremde. Das bedeutete Platz 16 in der Auswärtstabelle. Der Kapitän (Christian Träsch) war mit sich selbst beschäftigt und überfordert, Diego geflohen, Lakic weggeschickt, Helmes erst verbannt, dann für die EM empfohlen. Die fehlende Hierarchie im Abwehrverbund haben wir schon angedeutet.
Sollte die Diva Diego erneut nicht nach Magaths Pfeife tanzen, dann entsteht schnell ein kreatives Loch im Mittelfeld. Der neue Wunderstürmer aus den Niederlanden, Bas Dost, schoss bei Heerenveen in 73 Spielen 53 Tore und wurde Torschützenkönig der vergangenen Saison in der Eredivisie. Doch Dost musste bei einem Waldlauf vom Co-Trainer gesucht werden, ist physisch noch nicht auf Bundesliganiveau.
"Er muss sich körperlich entwickeln und noch mehr einbringen, um in der Bundesliga erfolgreich zu sein", so Magath über den Niederländer im kicker. Durch den Ausfall von Helmes und den Rückstand von Dost liegen die Hoffnungen im Sturmzentrum auf Srdjan Lakic. Der wurde zwar von Magath ausdrücklich gelobt, hat sich aber auf gehobenem Niveau noch nicht beweisen können. Sollten diese Negativfaktoren zum Tragen kommen, wird der VfL trotz des qualitativ guten Kaders wieder zum grauen Wolf im Mittelfeld der Liga.
Was mich am VfL Wolfsburg begeistert
Michel Massing: Das Sprichwort: "Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut" gilt nach dem sensationellen Titelgewinn 2009 nicht für den VfL Wolfsburg. Felix Magath zauberte damals No-Names wie Grafite und Edin Dzeko aus dem Hut und begeisterte die Liga mit Offensivfußball und dem Meistercoup. Der VfL ist das Brasilia, das Canberra der Bundesliga. Auf dem Reißbrett entstanden, nicht jedermanns Geschmack, aber auf jeden Fall eine besondere Geschichte. Da sind wir auch gleich beim Lieblings-Stichwort der Kritiker.
Dem Verein mangelt es an Geschichte und Charisma und die Niedersachsen seien nur dank der VW-Millionen in der Liga. Wenn man bedenkt, dass Schalke die beste Zeit seiner Vereinsgeschichte (Schalker Kreisel) in der Hitler-Ära erleben durfte, dann darf es doch wohl erlaubt sein, neue Geschichte schreiben zu wollen. Genau das wird in Wolfsburg gemacht. Architekt Magath entwirft sein persönliches Brasilia in der Autostadt am Mittellandkanal und hat sogar Erfolg damit. Wenn solche Visionen wahr werden können, dann ist Träumen erlaubt. Das gilt dann natürlich auch für die Schalker.
Was mich am VfL Wolfsburg nervt
Malte Asmus: Gut, man kann natürlich über fehlende Geschichte lamentieren. Aber was bringt Historie allein? Herzlich wenig, wie man am seit fast 25 Jahren erfolglosen HSV sieht. Der VfL Wolfsburg war dagegen immerhin 2009 Meister und das auch noch hochverdient. Doch danach? Gut, auf dem Höhepunkt des Erfolges war Magath gegangen. Doch sowohl die Mannschaft als auch die finanziellen Möglichkeit des VfL waren viel zu gut, als dass sie im Anschluss sofort in der Versenkung (8., 15. 8.) hätten verschwinden müssen.
Für einen Club mit einem so enormen Potential wie den VW-Millionen in der Hinterhand haben die Wölfe viel zu wenig erreicht. Auch gemessen an den eigenen, öffentlich immer wieder lautstark und offensiv artikulierten Ansprüchen. Diese und die bittere Realität klafften bei den Niedersachsen jedoch einfach viel zu weit auseinander. Und dann wäre da noch Magaths "Gutsherrenart", mit der er seine Mannschaften führt und die ihm dem Vernehmen nach auch beim Schalke 04 letztlich zum Verhängnis geworden war. "Hire and fire" in der Transferpolitik, erst Helmes und jetzt Diego zunächst öffentlich an den Pranger gestellt, dann zu Hoffnungsträgern stilisiert... Menschlich, zumindest für mich, diskussionswürdig. Sportlich gibt ihm der Erfolg allerdings teilweise Recht und allein das zählt letztlich im Geschäft.
sportal.de-Prognose
Felix Magath hat "nur" 20 Millionen Euro in diesem Jahr ausgegeben und eine Truppe zusammengestellt, die auf allen Positionen qualitativ hochwertig besetzt ist. Wenn die Wölfe zu einem verschworenen Rudel zusammenfinden und der Ausfall von Helmes durch Lakic, Dost und die Außenstürmer kompensiert werden kann, dann ist der vierte Platz durchaus drin. Diego ist ein Mann für die Champions League und wird den VfL auch dorthin zurückführen, zumindest in die Qualifikation zur Königsklasse.
Prognose: Die sportal.de-Tabelle:
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4 | VfL Wolfsburg |
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16 | Hamburger SV |
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