
Jogi Löw will am 7. Mai den erweiterten Kader bekannt geben. Für alle Positionen hat der Bundestrainer hervorragende Spieler zur Verfügung für alle Positionen? Nein! Der Posten des Außenverteidigers macht große Sorgen. Wer soll das Pendant zu Kapitän Philipp Lahm bilden? Wir haben uns die Optionen angesehen.
Jogi Löw will am 7. Mai den erweiterten Kader von zunächst mehr als 23 Spielern bekannt geben, aus diesem wird dann der endgültige EM-Kader benannt. Auf allen Positionen ist das deutsche Team somit gut oder sogar sehr gut besetzt, nur ein Posten bereitet dem Bundestrainer chronische Sorgen. Wir nehmen die Problemstelle Außenverteidigung unter die Lupe und nennen die Optionen.
Jogi Löw hat ein chronisches Problem
Jogi Löw wird wie schon 2010 zunächst mehr als 23 Spieler berufen und die überzähligen Kandidaten vor dem Meldeschluss bei der UEFA streichen. Bis zum 29. Mai müssen Jogi Löw, Assistent Hansi Flick und Chefscout Urs Siegenthaler also die 23 Spieler herausfiltern, die Deutschland bei der EM in Polen und der Ukraine vertreten sollen. Einen großen Teil der Beratungszeit wird die Frage einnehmen, wer das Pendant zu Philipp Lahm auf der Außenverteidigerposition bilden kann?
Wir haben uns die Kandidaten angesehen und dabei zwei verschiedene taktische Optionen abgewägt. Die offensive Variante, mit einem Außenverteidiger, der im Spiel nach vorne seine Stärken hat und gerade gegen defensiv eingestellte Gegner zum Einsatz kommen könnte oder die defensive Variante, mit einem vor allem zweikampfstarken Spieler.
Zeit der Experimente bald vorbei
Jogi Löw probierte zuletzt viel. Gegen Frankreich (1:2) und die Niederlande (3:0) spielten Jerome Boateng (rechts) und Dennis Aogo (links) auf den Außen. Gegen die Ukraine (3:3) versuchte es Löw mit einer Dreierkette, die hochstehenden Dennis Aogo und Christian Träsch sollten einrücken, was nur selten gelang.
In den letzten Pflichtspielen, also der EM-Qualifikation, spielte Jerome Boateng beim 3:1 in der Türkei. Benedikt Höwedes beim 6:2 gegen Österreich und beim 3:1 in Aserbaidschan, dort durfte auch Dennis Aogo ran, weil Lahm im defensiven Mittelfeld auflief. Beim 2:1 in Österreich (Juni 2011) durfte sich Marcel Schmelzer beweisen, beim ersten Pflichtspiel des Jahres 2011 gegen Kasachstan (4:0) spielte Aogo.
Löw-Favoriten: Boateng, Aogo und Höwedes
Die Favoriten auf eine Nominierung, bzw. auf den Platz an der Außenlinie sind also Jerome Boateng, Dennis Aogo, Benedikt Höwedes und Christian Träsch. Wir haben uns allerdings nicht auf diese Spieler beschränkt, sondern 16 deutsche Außenverteidiger auf ihre Stärken und Schwächen geprüft. Dazu haben wir ihre Chance auf eine Nominierung eingestuft.
Um eine Übersicht, über die Leistungen der Spieler in dieser Saison zu geben, haben wir die sportal.de-Durschnittsnote, die Tore und Vorlagen sowie die Zweikampfstatistik (Daten bild.de) mit ausgewiesen.
Außenverteidiger für die DFB-Elf Chancen, Stärken, Optionen
Kaum Chancen:
Dennis Diekmeier
Durchschnittsnote: 3,9 23 Spiele / 0 Tore / 2 Assist / Gew. Zweikämpf: 53,26%
Seite: Rechts Option: Offensive Variante
Der Hamburger Abwehrspieler spielte ein durchwachsene Saison. Er präsentiert sich oft stark in der Offensivbewegung, umso schwächer im defensiven Stellungsspiel und Zweikampfverhalten.
Christian Schulz
Ø 4 / 26 Spiele / 1 Tor / 0 Assist / Gew. Zweikämpf: 54,85%
Seite: Links Option: Defensiv
Schulz hatte in dieser Spielzeit mit Verletzungsproblemen zu kämpfen. Der ehemalige Bremer kann auch als Innenverteidiger spielen, ist auf der linken Abwehrseite bei Hannover die defensive Option zu Christian Pander.
Andreas Beck
Ø 3,8 / 30 Spiele / 1 Tor / 1 Assist / Gew. Zweikämpf: 52,62%
Seite: Rechts Option: Defensiv
Neun Länderspiele stehen für Andreas Beck zu Buche. Das letzte Mal für Deutschland auflaufen durfte er allerdings im November 2010. Der ehemalige Stuttgarter spielt eine schwache Saison, enttäuscht in Punkto Körpersprache und Zweikampfverhalten.
Überraschungskandidaten:
Tony Jantschke
Ø 3,5 / 31 Spiele / 1 Tor / 1 Assist / Gew. Zweikämpf: 61,08%
Seite: Rechts Option: Defensiv
Jantschke ist gelernter Sechser, spielt in Gladbachs Überraschungssaison aber einen starken rechten Außenverteidiger. Er ist nicht der Schnellste, aber dafür enorm Zweikampfstark und sicher im Stellungsspiel.
Oliver Sorg
Ø 3,4 / 16 Spiele / 0 Tore / 0 Assist / Gew. Zweikämpf: 57,56%
Seite: Beidfüßig Option: Defensiv
Sorg ist einer der Shootingstars aus der eigenen Jugend. Der 21-jährige war Kapitän der zweiten Mannschaft, überzeugt mit Ruhe am Ball und u.a. durch seine konstanten Leistungen stabilisierte sich die Schießbude Freiburg in der Rückrunde.
Christian Pander
Ø 3,5 / 29 Spiele / 2 Tore / 7 Assist / Gew. Zweikämpf: 52,08%
Seite: Links Option: Offensiv
Der ehemalige Schalker spielte für Hannover sowohl im linken Mittelfeld, als auch als in der Abwehr (11 Rückrundenspiele als Linksverteidiger). Pander hat endlich seine Verletzungsanfälligkeit abgelegt und wäre eine offensive Option. Die Standards und Flanken des zweifachen Nationalspielers sind brandgefährlich. Im Defensivspiel fehlt ihm jedoch die Zweikampfstärke und Beweglichkeit.
Bekannte Alternativen
Clemens Fritz
Ø 3,6 / 31 Spiele / 1 Tor / 1 Assist / Gew. Zweikämpf: 59,57%
Seite: Rechts Option: flexibel
Der 22-fache Nationalspieler ist seit 2008 kein Thema mehr bei Jogi Löw. In der chaotischen Bremer Saison mäanderte Fritz durch das Team von Thomas Schaaf. Mal durfte er im rechten Mittelfeld ran, dann wieder als defensiver Mittelfeldspieler, er machte aber auch neun Rückrundenspiele als Rechtsverteidiger. Fritz wurde wie zum Beispiel Lukasz Piszczek zum Rechtsverteidiger umfunktioniert, war früher Stürmer. Der Bremer hat seinen Offensivdrang noch nicht abgelegt, gilt aber eher nicht mehr als ausgesprochen offensiver Außenverteidiger. In einer schwierigen Bremer Saison ist Fritz einer der wenigen Lichtblicke.
Marcel Schäfer
Ø 3,5 / 33 Spiele / 5 Tore / 5 Assist / Gew. Zweikämpf: 54,49%
Seite: Links Option: Offensiv
Der achtmalige Nationalspieler (zuletzt 2010) stand in der Wolfsburger Rückrunde nur ein Mal auf dem Linksverteidigerposten, lief ansonsten im linken Mittelfeld auf. Felix Magath schätzt seine Qualitäten als extrem guter Flankengeber. Im Defensivverhalten hat Schäfer seine Schwächen.
Christian Träsch
Ø 3,9 / 32 Spiele / 0 Tore / 5 Assist / Gew. Zweikämpf: 53,75%
Seite: Rechts Option: Defensiv
Der Kapitän der Wolfsburger ist das große Sorgenkind der Saison. Warum der hoch talentierte defensive Mittelfeldspieler und Außenverteidiger seine Leistung in dieser Spielzeit nur selten abrufen konnte, ist ein Rätsel. Jogi Löw hält zu dem ehemaligen Stuttgarter, der bereits zehn Länderspiele für Deutschland absolvierte und zuletzt immer zum Kader der DFB-Elf gehörte.
Gute Chancen auf ein EM-Ticket
Dennis Aogo
Ø 3,5 / 29 Spiele / 0 Tore / 2 Assist / Gew. Zweikämpf: 58,87%
Seite: Links Option: Flexibel
Dennis Aogo hat seine Stärken im Offensivspiel, ist ein guter Flankengeber, schaltet sich aber noch zu selten mit ein. Wenn Marcell Jansen vor ihm spielt, agiert Aogo recht defensiv, ohne dabei restlos überzeugen zu können. Der zehnfache Nationalspieler gehörte zuletzt immer zum DFB-Team, konnte aber auf internationaler Ebene selten überzeugen.
Gonzalo Castro
Ø 3,4 / 30 Spiele / 2 Tore / 7 Assist / Gew. Zweikämpf: 48,59%
Seite: Rechts Option: Offensiv
Gonzalo Castro könnte seine Vielseitigkeit zugute kommen. Der 5-fache Nationalspieler (zuletzt 2007) kann sowohl als Außenverteidiger, als auch im defensiven oder rechten Mittelfeld eingesetzt werden. Er wurde zuletzt ausgiebig von Löw gesichtet und dürfte zumindest zum vorläufigen Aufgebot zählen. Castro ist technisch stark, hat Offensivdrang jedoch Schwächen im Zweikampfverhalten.
Marcel Schmelzer
Ø 3,3 / 27 Spiele / 1 Tor / 4 Assist / Gew. Zweikämpf: 50,95%
Seite: Links Option: Offensiv
Fünf Einsätze für Deutschland absolvierte Schmelzer bisher. Er präsentierte sich in der DFB-Elf meist viel schlechter, als in der Bundesliga beim BVB. Die unterschiedliche taktische Spielweise sei dafür verantwortlich, hieß es meist zur Erklärung. Schmelzer hat einen tollen linken Fuß, gilt als Dauerläufer auf der linken Seite und nimmt aktiv am Offensivspiel teil. Im Defensivverhalten, wenn kein schnelles Gegenpressing gespielt wird, hat er oft Probleme.
Benedikt Höwedes
Ø 3,3 / 22 Spiele / 1 Tor / 2 Assist / Gew. Zweikämpf: 65,18%
Seite: Rechts Option: Defensiv
Der gelernte Innenverteidiger hatte in dieser Spielzeit mit Verletzungssorgen zu kämpfen. Wenn er fit war, dann lief er auch auf Schalke oft rechts in der Viererkette auf. Stevens war gerade in Auswärtspartien der defensive Höwedes lieber, als der offensive Uchida. Die Zweikampfstärke und Kampfkraft des Schalker Kapitäns, könnte ihm das EM-Ticket sichern. Zudem hätte Löw einen weiteren kopfballstarken Spieler auf dem Platz. Schwächen offenbart Höwedes im schnellen Kombinationsspiel und bei Flanken.
Feste Größen im DFB-Team
Jerome Boateng
Ø 3,4 / 26 Spiele / 0 Tore / 1 Assist / Gew. Zweikämpf: 63,64%
Seite: Rechts (auch Links) Option: Defensiv
Boateng hat bei Bayern München oft auf der Rechtsverteidigerposition gespielt. Nach der Verletzung von Daniel van Buyten agierte er zunehmend in der Innenverteidigung. Dort bildete er mit Holger Badstuber ein stabiles und spielstarkes Innenverteidigerduo. Auf der Außenposition absolvierte Boateng schon bei der WM 2010 einige Spiele - allerdings auf der linken Seite. Zweikampfstärke und gutes Passspiel sind seine Markenzeichen. Er hat ähnliche Schwächen wie Höwedes im Offensivspiel, bei Flanken oder schnellem Kurzpassspiel.
Holger Badstuber
Ø 2,8 / 32 Spiele / 0 Tore / 1 Assist / Gew. Zweikämpf: 66,48%
Seite: Links Option: Defensiv
Auch Holger Badstuber hat schon Linksverteidiger bei den Bayern gespielt. Durch seinen starken linken Fuß ist er für Standards und Eckbälle immer eine Alternative. Seine Passgenauigkeit sucht seines Gleichen. Badstuber gehört zu den besten Aufbauspielern unter den Innenverteidigern. Ob er auch als Alternative für die Außenverteidigerposition in Frage kommt, darf bezweifelt werden. Bei Löw ist Badstuber innen gesetzt, zumal auf der Außenposition seine Schwächen in Punkto Schnelligkeit deutlich werden.
Philipp Lahm
Ø 3 / 30 Spiele / 0 Tore / 3 Assists / Gew. Zweikämpf: 53,91%
Seite: Flexibel Option: Flexibel
Philipp Lahm wird oft dafür kritisiert, dass er weniger nach vorne spielt, als noch in seinen frühen Jahren. Das stimmt, allerdings spielt er bei den Bayern auch hinter Franck Ribery bzw. Arjen Robben und die mit Defenivschwächen ausgestatteten Flügelstürmer lassen dem erfahrenen Außenspieler oft keine Wahl, als Vorsicht walten zu lassen und hinten zu bleiben. Wenn sich Lahm doch mal nach vorne begibt, dann durchaus erfolgreich, wie er gegen Madrid zuletzt anschaulich demonstrierte. Der 85-fache Nationalspieler gehört zu den absoluten Säulen der DFB-Elf, ist eigentlich unersetzlich. Aber wir finden auch bei Lahm ein Haar in der Suppe. Lahm rückt zuweilen zu früh ein, verliert dann den Gegenspieler aus den Augen und hat dazu Schwächen im Kopfballspiel.
Fazit: Einen zweiten Lahm gibt es nicht
Die beiden gelernten Innenverteidiger Jerome Boateng und Benedikt Höwedes sind die defensiven Varianten für Jogis Wunschelf. Marcel Schmelzer und Dennis Aogo konnten in der Nationalmannschaft noch nicht überzeugen. Christian Träsch ist außer Form und Clemens Fritz hat bei Löw wohl keine Chance mehr. Deshalb scheint die Zeit für einen Überraschungskandidaten gekommen. Neben dem flexiblen Gonzalo Castro könnte das Telefon von Tony Jantschke oder Christian Pander plötzlich klingeln und der Bundestrainer bittet zum Casting.
Einen Phlipp Lahm kann man sich allerdings nicht mal so eben schnitzen. Deshalb wird Löw wohl situationsbedingt entscheiden. Gegen defensiv zu erwartende Teams wie z.B. Dänemark könnte man mit einem starken Flankengeber wie Schmelzer, Aogo oder Pander agieren, gegen die Niederlande oder Portugal wird es wohl eher auf Boateng, Höwedes oder Träsch hinauslaufen. Restlos überzeugen konnte in der Nationalelf noch keiner der Kandidaten. Bei der Qualität des Kaders insgesamt ist eine Schwachstelle aber wohl zu verschmerzen.
Michel Massing