
Im heutigen Basket Case werfen wir einen Blick darauf, wie 1992 zwölf NBA-Stars die Welt auf den Kopf stellten. Die Geschichten reichen von einem geschassten Spielmacher über Clubbesuche in Monaco bis hin zum vielleicht besten Trainingsspiel aller Zeiten.
Rückblende: Als Dreizehnjähriger war ich meiner Meinung nach der größte Fußballfan, den es in Deutschland gab. Trotzdem - oder gerade deshalb - waren Olympische Sommerspiele für mich zum ersten Mal etwas richtig spannendes, schließlich gab es während der Sommerpause nach der EM ja keinen Fußball im Fernsehen.
Viele Sportarten der Spiele 1992 in Barcelona waren spannend anzuschauen, aber als Fußballfan hatten es mir gerade die Ballsportarten angetan. Feldhockey, Volleyball, Handball - und natürlich Basketball. Nicht, dass ich vor den Wettkämpfen in der katalanischen Hauptstadt eine umfangreiche Ahnung von Spielern oder Regelwerk gehabt hätte. Aber die Spiele von Barcelona veränderten mein Sportinteresse grundlegend - weil der Sport wohl nie wieder so eindrucksvoll zelebriert werden dürfte wie vom damaligen Dream Team der USA.
Bereits vor den Olympischen Spielen hatte man aus diversen Zeitungen erfahren können, dass die Amerikaner der Welt Basketball regelrecht präsentieren wollten, als hätte es den Sport vorher nirgends anders als in Amerika gegeben. Zu diesem Zweck - und, um als Nebeneffekt die Coolnessvorstellungen tausender europäischer Jugendlicher auf den Kopf zu stellen - sollten anstatt von Collegespielern zum ersten Mal gestandene Profis aus der NBA an den Spielen teilnehmen. Und das taten sie dann auch - und zwar ausschließlich die allererste Garde.
Sommerpause? Nein, Olympia!
Doch bereits vor der eigentlichen Nominierung gab es den ersten Ärger. Welcher der heimischen Sportartikelriesen würde das Team sponsorn dürfen? Würde man wirklich komplett auf Collegespieler verzichten? Und würden die Basketballmillionäre wirklich auf ihren Urlaub verzichten wollen? Die Antwort auf alles drei: Kein Problem.
Denn nachdem sich mit Magic Johnson und Larry Bird die beiden Altmeister des Sports zur Teilnahme verpflichtet hatten, purzelten die Dominosteine im Schnelldurchgang. Als Center wurden die vielmaligen All-Stars David Robinson und Patrick Ewing berufen, als Forwards mit Scottie Pippen Karl Malone, Charles Barkley sowie Chris Mullin die Spitzenklasse der Liga, und als Guards neben Johnson John Stockton, der beste Assistgeber aller Zeiten, sowie Clyde Drexler - und zu guter Letzt dann auch Michael Jordan.
Der hatte sich laut einer NBA-TV Dokumentation aus dem Jahr 2012 geweigert teilzunehmen - es sei denn, man würde auf Isiah Thomas, den Pointguard der Detroit Pistons verzichten. Die Bulls und die Pistons hatten sich jahrelang oft unfaire Kämpfe auf dem Platz geliefert - und Jordan sah die Zeit gekommen, deutlich zu machen, wer der Herr im Hause Olympiateam war. Komplettiert wurde das Team mit Christian Laettner, dem zu der Zeit mit Abstand bestem Collegespieler.
Coaches, Trainingslager alles nur vom Edelsten
Gelenkt wurde das Spiel des Dream Teams von vier Coaches, von denen drei Chuck Daly, Lenny Wilkens und Mike Krzyzewski - mittlerweile in der Hall of Fame stehen. Wie übrigens auch alle Spieler des Teams mit Ausnahme von Laettner. Selbst der Ärger um den Ausrüster ließ sich schnell beheben. Wer wollte, durfte in seinen eigenen Schuhen spielen, und auch die Trainingsanzüge durften verdeckt werden, sobald man einer Kamera über den Weg lief.
Über einige Testspiele, die sich hier zu Lande ja nur sehr schwerlich über die Zeitungen verfolgen ließen, und das Qualifikationsturnier, bei dem das Dream Team seine Gegner aus Mittelamerika nach Belieben an die Wand spielte, ging es für das Team also nach Europa. Und da zeichnete sich von Beginn an ab, was für eine Euphorie diese Gruppe Sportler erzeugen sollte.
Zunächst mal wurde in Monaco Station gemacht. Ohne Ausgehsperre, ohne Kleiderordnung, und vor allem - mit nur zwei Stunden Training am Tag. So hatten die Stars Zeit, sich in Europa zu akklimatisieren, die Clubszene zu erkunden, und nebenbei an ihrem Image als Werbe-Ikonen zu arbeiten. Doch auch das kurze Training hatte es in sich. In einem Trainingsspiel zwischen einer Gruppe um Magic Johnson und einer um Michael Jordan artete das Ganze so weit aus, dass das Spiel bei Beobachtern noch heute als das wohl verbissenste Trainingsspiel aller Zeiten gilt - und die endgültige Wachablösung Johnsons durch Jordan bedeutete.
Gute Laune, wenig Respekt - und trotzdem genial
Nichtsdestotrotz war die Laune im Team immer gut - was aber sicher auch daran lag, dass keiner der Spieler auch nur annähernd mit einer solchen Euphorie wie der gerechnet hatte, die in Barcelona über das Team hineinbrach. Nirgends konnten sich die Spieler bewegen, ohne in einen Menschenauflauf zu geraten. Nirgends gab es Plakatwände, wo nicht entweder der Schuh von Charles Barkley oder die Trainingshose von Michael Jordan beworben wurden.
Fernsehspots mit den NBA-Spielern liefen tagein tagaus, jede Sportsendung im TV musste mindestens einmal pro Durchlauf einen Statusbericht zu den Basketballern abgeben und die Zeitungen überschlugen sich mit Geschichten und Gerüchten über die Stars. Und die enttäuschten nicht. Ob John Stockton beim Stadtbummel mit amerikanischen Touristen, die ihn nicht erkannten, weil ''Basketballer doch alle viel größer waren''. Oder Jordan, der einem Taxifahrer morgens um 5 Uhr hundert Dollar in die Hand drückte, damit der mit ihm Kaffee trinken ginge. Oder aber Charles Barkley, der vor dem ersten Spiel lapidar meinte:''Ich kenne keinen Angolaner, aber ihr könnt ihnen ausrichten - sie haben ein Problem.''
Wo die Amerikaner waren, da war die Show - und wo die Show war, waren die Amerikaner meist nicht weit. Und das galt sicherlich nicht nur für Momente neben dem Court. Während des Turniers zerstörten die Amerikaner ihre Gegner mit weit über 40 Punkten Unterschied im Schnitt, und selbst der basketballunkundigste Mensch musste zugeben, hier übten Menschen einen Sport auf einem komplett anderen Level aus als der Rest der Welt.
Wie man einen Kukoc vergrault
Und genau darum ging es den hochmotivierten Stars ja auch. Spaß haben, aber trotzdem keinen Zweifel daran lassen, dass das Mutterland des Basketball die USA seien. So war zum Beispiel der Kroate Toni Kukoc, seinerzeit der vielleicht beste europäische Spieler neben Vlade Divac, gerade von den Chicago Bulls verpflichtet worden - zum Unwillen der beiden Superstars Jordan und Pippen. Vor dem Vorrundenspiel der Kroaten sprach Jordan in der Umkleide zur Mannschaft und seine Message war klar: Heute werden Scottie Pippen und ich das alleine machen.
Das Fazit: Kukoc sah keinen Stich im gesamten Spiel. Kurz vor Ende erwischte ihn eine Fernsehkamera dabei, wie er einem Teamkollegen auf die Frage, wieso er es denn so schwer habe, antwortete:''Ich hatte keine Ahnung wie gut diese NBA-Jungs sind.'' Kukoc durfte sich das ganze dann im Finale nochmals aus erster Reihe ansehen - und wechselte dann doch erst einen Sommer später in die Liga, nachdem Jordan in den vorzeitigen Ruhestand abgetreten war.
Europa freundet sich mit dem orangenen Ball an
Und auch neben dem Feld lief für die NBA alles wie geplant. Schuhverkäufe schossen in die Höhe und tausende europäischer Jugendlicher wollten plötzlich in viel zu weiten kurzen Hosen herumlaufen, am besten mit einem Cap oder einem Trikot ihres Lieblingsvereins ausgerüstet. Sat 1 zeigte mit Jump ran - Lou Richter sei dank! - amerikanischen Basketball im Fernsehen, und selbst der sonst eher konservativ agierende adidas-Konzern stellte mit der europaweiten Streetball-Challenge, einem Straßenturniers im Format 3 gegen 3, die Weichen auf Jugend. An Garagen wurden Körbe angebracht, im Sportunterricht wurde nicht mehr automatisch Fußball gespielt - kurzum, die NBA kurbelte an allen Ecken und Enden des Marketings und Merchandisings.
Und natürlich taten Spieler wie eben Kukoc, dreimaliger Meister mit den Bulls, Vlade Divac oder eben Detlef Schrempf, der als erster Deutscher eine Finalserie erreichte, ihr übriges, um das Interesse an amerikanischem Basketball in Europa hoch zu halten. Und wenn man schaut, wie weit der internationale Basketball mittlerweile gekommen ist, muss man sagen, die Strategie scheint komplett aufgegangen zu sein. In der NBA spielen mehr Ausländer als jemals zuvor. Spanien und Argentinien haben nachfolgenden Dream Teams sogar schon Niederlagen beibringen können. Mit Dirk Nowitzki gab es erstmals einen Nicht-Amerikanischen MVP in der Liga - wenn man den Kanadier Steve Nash mal außen vor lässt.
Ein Team für die Ewigkeit
Es ist schwer zu sagen, wie lange es in Zeiten des Internets gedauert hätte, bis Fans auf der ganzen Welt die Schönheit und Klasse des NBA-Spiels erkannt hätten. Doch in einer Zeit, in der das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, Zeitungen das Nonplusultra waren und man sich mangels Alternativen oft auf Meinungen aus dem Fernsehen verlassen musste, war die Aufmerksamkeit, die auf das Dream Team gerichtet wurde, etwas völlig Neues.
Natürlich nennt sich heutzutage jedes amerikanische Team Dream Team. Nicht auszuschließen, dass die besten zwölf Spieler derzeit, berücksichtigt man die vielen Verletzten in diesem Jahr, eine Chance gegen das Team gehabt hätten - bis Jordan am Ende alles selbst in die Hand genommen und sein Team zum Sieg geworfen hätte. Doch den kulturellen Aspekt, die Dimensionen des Interesses an noch so kleinen Dingen im Lager der Stars und die fast schon heldenhafte Verehrung der Fans - all diese Dinge wird das Dream Team von 1992 auf ewig für sich allein gepachtet haben.
Der FC Barcelona mag seit Jahren tollen Fußball spielen, wie auch die Deutschen in den siebziger Jahren. Roger Federer mag der beste Tennisspieler aller Zeiten sein. Und vielleicht gibt es nie wieder Golfer wie Tiger Woods oder Jack Nicklaus. Doch was das Dream Team geschafft hat - altersübergreifend zu begeistern, Jugendlichen eine neue Coolness zu vermitteln und einen Sport weltweit um ein vielfaches populärer zu machen - das dürfte es auf der Welt kaum nochmals geben. Ich persönlich habe zu danken - meine Mutter, die mir damals Trikots, Schuhe und Poster kaufen musste, wohl weniger...