
"Olympia ist vorbei, die Bundesliga noch weit - was können wir schreiben, Chef?" "Der Löw gibt doch nachher eine Pressekonferenz, das blasen wir mal richtig auf!". So ähnlich muss es gewesen sein, bevor eine relativ unspektakuläre PK zur "Brandrede" wurde.
Es war eine Standardansetzung: In einem großen Zelt vor dem Frankfurter Stadion, in dem Deutschland am Mittwochabend gegen Argentinien spielen wird (20:45, im Live-Ticker) gab Bundestrainer Joachim Löw eine Pressekonferenz, um auf die neue Länderspielsaison und den Neuanfang nach dem Aus im EM-Halbfinale gegen Italien einzustimmen.
Viel Neues gab es dabei vom Coach gar nicht zu hören. Dass er ans Team glaubt - ja, was denn sonst? Dass noch nicht alles perfekt war in Polen und der Ukraine - ja gut, äh, sonst wäre man ja Europameister geworden. Das hinderte viele Medien nicht daran, von einer "Brandrede" zu sprechen. Die Deutsche Presse-Agentur stieg in ihren Artikel, der erwartungsgemäß das Medienecho in der Breite der deutschen Medienlandschaft prägen dürfte, gar mit der Formulierung ein: "So kämpferisch und selbstbewusst hätte sich die Fußball-Nation Joachim Löw und sein Team gegen Italien gewünscht".
Aber was hat denn "die Fußball-Nation" (ein monolithischer Block, zu dem die Nationalelf selbst anscheinend nicht gehört) von Löw zu hören bekommen bei dieser Skandal-PK?
Phrasenschwein gehabt
"Mein Trainerteam und ich gehen mit großer Motivation und großer Spannung an die kommenden Aufgaben heran". Alles andere wäre ja auch ein Entlassungsgrund, also Rubrik Phrasenreservoir.
Zum EM-Aus gegen Italien wird Löw von dfb.de zitiert: "Wir wollten nach der WM in Südafrika eine Mannschaft formen, die Titel gewinnen kann. Deswegen war die Niederlage im EM-Halbfinale gegen Italien besonders schmerzhaft. Wir haben jetzt die Aufgabe, Fehler aufzuarbeiten, Fehler zu erkennen und Lösungen für die nächsten zwei Jahre zu finden. Unser Weg, den wir vor einigen Jahren eingeschlagen haben, stimmt. Wir haben ein langfristiges Konzept, an dem wir auch festhalten werden."
Auch hier wäre der Nachrichtenwert beträchtlich höher gewesen, wenn Löw eine völlige Abkehr von allen bisherigen Konzepten angekündigt hätte. Sehen wir uns also genauer an, wie Löw auf geäußerte Kritik reagierte: "Die sportliche Kritik nehme ich an, mit aller Demut, und versuche, die Lehren daraus zu ziehen", aber: "Teile der Kritik halte ich allerdings nicht für zielführend."
Löw: Hymnendebatte "schlecht"
Damit meinte der Bundestrainer vom Boulevard lancierte "Debatten" wie die Lautstärke beim Mitsingen der Nationalhymne vor dem Spiel oder das Thema "Führungsspieler". Zu diesem Löw: "Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Miroslav Klose und einige andere haben das, was ich von ihnen erwartet habe, hervorragend gemacht. Sie glauben doch nicht, dass Millionen von Leuten beim Public Viewing und vor dem Fernseher zusehen, wenn keine Siegertypen auf dem Platz stehen."
Das allein ist jetzt kein besonders gutes Argument - schließlich beweisen viele Zuschauer nicht, dass eine Mannschaft alles richtig macht, sondern nur, dass das Interesse groß ist - aber dass Löw nicht seinen eigenen Schlüsselspielern der letzten sechs Jahre auf einmal zu Saisonbeginn charakterliche Defizite attestiert, kann niemanden verwundern, der den Bundestrainer kennt.
Dass Löw sich die lächerliche These, das Mitsingen der Hymne bestimme im Spiel den Erfolg, nicht zu eigen macht, ist zudem nichts Neues, und auch hier erstaunt es nicht, dass Löw nicht (wie der neue Sportdirektor des Verbandes Robin Dutt es an seinem ersten Arbeitstag tat) der Kritik durch ein neues Konzept zum verpflichtenden Absingen der Hymne begegnet, sondern es als "schlecht" benennt, dass Spielern mit bestimmtem familiären Hintergrund die nationale Identifikation abgesprochen werde.
Das alles ist also nicht spektakulär, ebenso wenig wie die Umfragen, mit denen der entsprechende Artikel auf bild.de begleitet wurde: "Löw weist Memmen-Kritik von Bild nach Italien-Aus zurück. Hat er Recht?"; "Löw will weiter keine Hymnen-Anweisung. Hat er Recht?"; und "Löw hält die Spieler nicht für verwöhnt. Hat er Recht?". Und am allerwenigsten überraschen die Resultate dieser Umfragen. Zwischen 64 und 78 Prozent der Teilnehmer an den Umfragen finden, dass Löw mit allem Unrecht hat. Und die Bild mit allem Recht.
Das alles wusste man aber auch schon vor der sogenannten "Brandrede".