
Der Torhüter, gegen den er vor 18 Jahren sein erstes Serie A-Tor erzielt hatte, ist bereits verstorben, zahlreiche Weggefährten längst im Ruhestand, nur der ewig junge Totti läuft und läuft und läuft. Der sportal.de-Kolumnist über ein belächeltes, aber rekordverdächtiges Phänomen.
In Italien kursieren hunderte Witze wie dieser: "Totti steht vor einem geheimen Orakel: Sagt er die Wahrheit, wird er reich beschenkt, sollte er allerdings lügen, würde er sich sofort in Luft aulösen. Ganz leise murmelt Totti darauf hin: 'Ich denke...' Und puff, war er weg." Dass Totti den Intellektuellen selten direkt raushängen lässt und vielleicht auch nicht die hellste Leuchte im Regal ist, merkt man an den vielen Standardfloskeln bei Interviews, seinem vergleichsweise beschränkten Wortschatz und den vielen Grammatikfehlern, sobald er den römischen Dialekt verlässt.
Aber vielleicht ist das genau das Geheimnis seiner seit mittlerweile 18 Jahren andauernden Karriere und seines immer noch großen Erfolgs - möglichst wenig das Gehirn zu benutzen und zu denken. Nicht über sein fortgeschrittenes Alter, nicht über ein mögliches Karriereende und schon gar nicht über Kritik. Totti muss es nicht zwischen den Ohren haben. Es in den Füßen zu haben, reicht völlig aus, um sich mit mittlerweile 36 noch einmal in absoluter Bestform präsentieren zu können.
285 Tore hat er für die Roma und die italienische Nationalmannschaft bisher erzielt, dabei laut Corriere dello Sport am Wochenende mit Emiliano Viviano den mittlerweile 110. Torhüter seiner Karriere bezwungen. Der erste, Francesco Mancini, gegen den Totti am 4. September 1994 im Spiel gegen Foggia seinen ersten Serie A-Treffer erzielt hatte, war bereits vor einigen Monaten gestorben. Totti unterstrich dagegen beim 4:2-Sieg der Roma über die Fiorentina mit einem Assist und seinem Doppelpack erneut eindrucksvoll seine Klasse.
Totti der drittbeste Torschütze der Serie A aller Zeiten
Mit seinem sechsten Saisontreffer schob er sich als Dritter in der ewigen Torjäger-Rangliste der Serie A mit insgesamt 221 Treffern auf vier Treffer an den zweitplatzierten Gunnar Nordahl (225) heran und wird auch ihn wohl bald überholt haben. Vielleicht sogar schon in den vor Weihnachten noch stattfindenden Spielen gegen Chievo und Milan. "Er ist heute sogar noch stärker als 2006, als er mit Italien die WM gewann", glaubt Sky Sport Italia-Journalist Maurizio Compagnoni. Ein Verdienst - so glauben viele Experten - von Trainerfuchs Zdenek Zeman.
Der hat Totti in dieser Saison nämlich wieder genau auf der Position eingesetzt, auf der er ihm vor 13 Jahren einst zum großen Durchbruch verholfen hatte, auf dem linken offensiven Flügel, allerdings ausgestattet mit allen Freiheiten, auch in die Mitte zu ziehen. Der Spieler dankt es ihm, indem er beeindruckende Energie, Leidenschaft und Erfolgshunger an den Tag legt, der ihn neben seinen eigenen Torerfolgen auch noch fünf Assists auflegen ließ, und unterstrich, dass Francesco Totti bei der Roma immer noch nicht zu ersetzen ist.
Zemans Vorgänger Luis Enrique hatte es zu Beginn der letzten Saison noch versucht, Totti in vielen Spielen draußen gelassen. Er wollte und sollte das Team erneuern, auf jüngere Spieler setzen. Doch die Erfolge blieben aus. Schnell wurde klar: Totti ist nicht zu ersetzen. Zudem wurden die Fans ungeduldig, weil ihr großes Idol infrage gestellt wurde. "Totti non si discute, si ama", heißt es seit Jahren unter den Anhängern, frei übersetzt: "Totti darf man nicht infrage stellen, man muss ihn lieben." Wegen seiner Vereinstreue zur Roma ist Totti dort bereits jetzt eine lebende Legende, allerdings nicht nur in der Landeshauptstadt, sondern ganz Italien. Trotz aller Witze, die man über ihn macht.