"Schnell gehandelt" hat der DOSB nach eigenem Verständnis im Fall Nadja Drygallas. Aber entweder eine Athletin wurde zu Unrecht sanktioniert, oder ihre radikalen Umtriebe werden auch jetzt noch verschleiert. Wir analysieren und bewerten den Umgang der Verbände mit dem Skandal.
Auch nach einer Pressekonferenz des Deutschen Ruder-Verbandes in London ist unklar geblieben, was genau hinter der plötzlichen Abreise von Nadja Drygalla aus dem Olympischen Dorf steckt. Der als "Nazi-Skandal" über Nacht an die Öffentlichkeit geratene Vorfall bezieht sich offenbar auf die Aktivitäten von Drygallas mutmaßlichem Lebensgefährten Michael Fischer, der als radikaler Neonazi, NPD-Mitglied und führendes Mitglied einer rechtsradikalen Kameradschaft in Mecklenburg-Vorpommern bekannt geworden ist.
Die Aktivitäten Fischers werden nicht bestritten, und vom deutschen Chef de Mission Michael Vesper wurde weder bestätigt noch dementiert, dass Drygalla tatsächlich mit ihm liiert ist. In einer ersten, etwas unbeholfen formulierten Presseerklärung des DRV hatte es noch geheißen, dem Verband seien "Erkenntnisse zum privaten Umfeld der Ruderin Nadja Drygalla" zugespielt worden. Der Neonaziaspekt der Affäre wurde da noch mit keinem Wort erwähnt.
So war die Neugier auf die Pressekonferenz am Freitagvormittag unter den deutschen Journalisten groß. Im Bemühen, Schadensbegrenzung in alle Richtungen zu betreiben, wurden der Verband (und der durch Vesper vertretene DOSB) aber weder dem Interesse der Öffentlichkeit nach Aufklärung noch dem Schutz der Privatsphäre der Athletin gerecht.
Privat oder politisch?
Nun könnte man argumentieren, dass faschistische Aktivitäten keine Privatsache sind. Das stimmt. Dafür müsste man aber erfahren, wie sich Drygalla selbst verhalten hat. Dazu hieß es von Vesper nur, er habe ein eineinhalbstündiges Gespräch mit der Sportlerin geführt, in dem sie sich von Rechtsradikalismus "natürlich" distanziert habe. Bild zitierte Vesper sogar mit der Aussage: "Für mich ist wichtig, wie sie selber denkt und handelt. Da habe ich keinen Zweifel, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes steht."
Entweder das stimmt einfach nicht und ist der Versuch, schnell Gras über die Sache wachsen zu lassen, oder es stimmt, dann aber fragt man sich doch, warum Drygalla das Olympische Dorf in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen musste. Selbst ihr "Gedankengut" wäre schwer zu sanktionieren, wenn sie es nicht irgendwo öffentlich zum Ausdruck gebracht hätte. Da sie das aber nach bisherigem Wissensstand nicht getan hat und der DOSB sogar behauptet, sie sei niemals als "fremdenfeindlich" aufgefallen, war es für die Verbände wohl wichtig, die "Freiwilligkeit" der getroffenen Schritte zu betonen, die gleichwohl "begrüßt" wurden.
Zugespitzt lässt sich der Standpunkt der Funktionäre so beschreiben: Drygalla ist nichts vorzuwerfen, für ihr Umfeld kann sie nicht verantwortlich gemacht werden, aber um schlechte Presse im Keim zu ersticken, schafft man räumliche Distanz zwischen ihr und dem Rest der Delegation.
Das ist aber eine wirklich aus jedem Blickwinkel heraus unbefriedigende Verfahrensweise. Die Berichterstattung dürfte ohnehin dafür gesorgt haben, dass das Image der Sportlerin ruiniert ist - mutmaßlich nicht ohne eigenes Verschulden, denn dass man als lupenreine Demokratin ohne jede Vorurteile mit einem aktiven und aggressiven Neonazi zusammen lebt, erscheint kaum vorstellbar. Doch gerade weil die im Raum stehenden Vorwürfe so schwerwiegend sind, wäre der DOSB es allen Beteiligten schuldig, sie auch klar zu benennen.