Zum Abschluss der Baustellen-Serie widmet sich sportal.de Borussia Mönchengladbach. Im Mittelpunkt steht Lucien Favre, der nach der starken Vorsaison an zu vielen Stellschrauben drehte und somit ein besseres Abschneiden verhinderte. Denn das Gladbacher Fundament sieht sehr stabil aus.
Die Fohlen-Elf landete nach Rang vier in der Vorsaison auf dem achten Tabellenplatz. Angesichts der Tatsachen, dass die Borussia in den Jahren zuvor stets gegen den Abstieg spielen musste, mit Dante, Marco Reus und Roman Neustädter drei Leistungsträger den Club verließen und die Konkurrenz im Mittelfeld der Bundesliga sehr groß war, ein respektables Ergebnis.
Das Gladbacher Glas könnte aber auch als halbleer bezeichnet werden. Immerhin wurde die Mannschaft mit Alvaro Dominguez, Luuk de Jong und Granit Xhaka positionstreu und millionenschwer verstärkt. Zudem hielt sich die Borussia beharrlich in der Nähe der Europa League-Plätze, um mit drei Pleiten in den letzten vier Saisonspielen die Chance auf weitere europäische Reisen zu verschenken.
sportal.de entscheidet sich für die halbleere Variante, denn die Voraussetzungen in Mönchengladbach waren und sind so gut, ein Platz im Mittelfeld ist da einfach zu wenig. Lucien Favre ist ein erstklassiger Trainer, Manager Max Eberl trifft kluge Entscheidungen, die Zuschauer strömen in den Borussia-Park und das Umfeld steht, anders als beispielsweise in Hamburg, für eine gesunde Mischung aus Demut und Erfolgshunger. Aus dieser Analyse heraus ergeben sich für Gladbach folgende Baustellen:
Favres Ideen müssen wieder greifen
In der Saison 2011/12 spielte die Borussia begeisternden Offensivfußball, der nach der Relegation im Vorjahr überraschend den Weg in die Champions League-Qualifikation ebnete. Nach dem Playoff-Aus gegen Dynamo Kiew reichte es dann zwar nur für die Europa League, aber Favre hatte sein Team in der richtigen Reihenfolge stabilisiert. Erst verringerte Favre die Anzahl der Gegentore, als das geschafft war, legte er den Schwerpunkt auf schnelles und geradliniges Spiel in der Offensive.
Nach den genannten Abgängen war ein Umbruch unausweichlich, doch Favre schaffte es die gesamte Saison über nicht, seiner Mannschaft die nötige Sicherheit einzuimpfen. Das lag vor allem an den vielen Rochaden in der Stammelf. Im defensiven Mittelfeld musste Havard Nordtveit sein Spiel an seinen Nebenmann anpassen, gemeinsam mit Xhaka war der Norweger defensiver Stabilisator, neben Thorben Marx musste Nordtveit mehr für die Offensive tun.
Bei der Rolle von Patrick Herrmann war sich Favre ebenfalls nicht sicher, mal spielte Herrmann auf der rechten Seiten, zeitweise aber auch als hängende Spitze. Im Sturm war die Suche nach der richtigen Lösung am offensichtlichsten, mit de Jong, Herrmann, Mike Hanke, Peniel Mlapa, dem mittlerweile in Hoffenheim gelandeten Igor de Camargo, Amin Younes, Tolga Cigerci und dem erst spät auftrumpfenden Branimir Hrgota probierte Favre acht Leute für die zwei Positionen in vorderster Front aus - Konstanz sieht anders aus.
Favre selbst hat in einem ersten Fazit nach Saisonende verschiedene Punkte aufgezählt, die seiner Meinung nach nicht gut gelaufen sind. "Es dauert zu lange, bis meine Spieler den Ball beherrschen", sagte Favre der Bild-Zeitung. "Es fehlt Tempo in allen Bereichen. Wir haben große technische Defizite. Wir verlieren viel zu oft die Bälle. Es fehlt ein Chef, der sagt, wann wir den Ball mal zirkulieren lassen und wann wir in die Tiefe spielen."
Wenn der Trainer sein Erfolgssystem wiederfinden möchte, hat er a) mit dem fehlenden Tempo den entscheidenden Faktor angesprochen, Favre sollte sich b) aber auch an die eigene Nase fassen. Denn Ballverarbeitung, Umschaltspiel sowie die Bestimmung eines zentralen Taktgebers sind klassische Trainer-Themen, die Favre in der Vorbereitung auf die kommende Saison angehen muss.
Xhaka und de Jong am Scheideweg
Ob das Spiel der Borussia dann tatsächlich wieder eine solche Dynamik ausstrahlt, wie es mit Marco Reus der Fall war, muss allerdings bezweifelt werden. Denn Zwölf-Millionen-Mann Luuk de Jong ist trotz seiner Schnelligkeit an anderer Stürmertyp. Der Niederländer ist nicht so kombinationssicher, dafür hat er als Strafraumspieler seine Stärken im Abschluss.
Als de Jong nach Umstellungsproblemen zu Beginn und einer Verletzungspause Mitte der Rückrunde mit drei siegbringenden 1:0-Treffern ins Rollen kam, nahm ihn Favre wieder aus der Startelf. Das fehlende Vertrauen war de Jong in den letzten Spielen anzumerken, in der Stürmerfrage sollte sich Favre deshalb frühzeitig auf eine 1a-Lösung festlegen.
Die Konkurrenz wird für de Jong trotz der Abgänge von Hanke und de Camargo nicht geringer. Aus Freiburg stößt Max Kruse zum Team vom Niederrhein, der Neu-Nationalspieler ist allerdings flexibel einsetzbar und kann auch als hängende Spitze sowie als Ersatz für Juan Arango auf der linken Seite spielen. Favre und Eberl wollen noch einen weiteren Angreifer verpflichten, das heißeste Gerücht am Bökelberg lautet derzeit: Nicklas Bendtner.
Auch deshalb wird seit Tagen über einen vorzeitigen Abgang von de Jong spekuliert, was angesichts seines Potentials extrem schade wäre. Solche Gerüchte rankten sich auch im Granit Xhaka. Der Schweizer kostete zwar nur 8,5 Millionen Euro, die Erwartungshaltung war aber ähnlich hoch wie bei de Jong. Doch Xhaka will bleiben und sich durchbeißen. "Ich habe nie daran gedacht, den Verein zu verlassen", sagte er am Rande des WM-Qualifikationsspiels der Eidgenossen gegen Zypern. "Das kam alles nur von den Zeitungen." Favre, de Jong, Xhaka - diese Baustelle muss das Trio gemeinsam schließen.
Statt Bendtner wäre ein Außenverteidiger ratsam
Neben Kruse hat die Borussia bisher einen weiteren Neuzugang verpflichtet, der bisher von Bayer Leverkusen an den VfL Bochum ausgeliehene Christoph Kramer wird von Seiten der Werkself weiter verliehen, zwei Jahre lang darf sich Kramer in der Bundesliga beweisen. Damit erhöhen sich Favres Möglichkeiten im defensiven Mittelfeld, Kramer konnte sein Potential in Bochum bereits andeuten.
Die Zurückhaltung auf dem Transfermarkt ist begrüßenswert und nachvollziehbar, immerhin investierte Mönchengladbach vor der letzten Saison über 30 Millionen Euro. Trotzdem sollen laut Manager Eberl noch "ein, zwei Offensivspieler" kommen. Bendtner wäre dabei die Risiko-Variante, immerhin hat der Däne in den vergangenen drei Jahren für Arsenal, Sunderland und Juventus ganze zehn Ligatore erzielt und dabei nur selten überzeugt.
Konkreter dürfte das Interesse an Raffael sein. Der Brasilianer könnte für die dringend benötigte Kreativität im Mittelfeld sorgen und er gilt nach gemeinsamen Jahren beim FC Zürich und Hertha BSC als Lieblingsschüler von Trainer Favre. Die Lage ist allerdings schwierig, denn Raffael gehört Dynamo Kiew und die Ukrainer wollen die an Hertha bezahlte Ablöse (neun Millionen Euro) in ähnlicher Größenordnung zurückbekommen. Zudem hat auch der FC Schalke Interesse an einer Weiterbeschäftigung Raffaels, da droht ein langer Verhandlungsprozess, der sich bis in den August ziehen kann.
Auf allen anderen Positionen ist die Borussia gut aufgestellt, mit einer Ausnahme. In Favres Kader fehlt eine echte Alternative für Rechtsverteidiger Tony Jantschke. Bisher half bei einem Jantschke-Ausfall Martin Stranzl aus, der Österreicher ist jedoch nur eine Notlösung und in der Innenverteidigung wesentlich stärker. Jantschke bräuchte einen echten Konkurrenten, denn seine Saison war defensiv durchwachsen und offensiv kaum der Rede wert. Letztlich stimmen die Voraussetzungen in Gladbach aber. Herr Favre, übernehmen Sie!