Mit kräftigen Tritten holte Tom Dumoulin noch einmal alles aus sich heraus und fand die Fahrspur ins große Glück. Im Schatten des berühmten Mailänder Doms hat der Niederländer das Wimpernschlagfinale des 100. Giro d'Italia für sich entschieden. "Es ist total verrückt, unglaublich. Ich kann das gar nicht beschreiben", sagte Dumoulin.
Der 26-Jährige aus dem deutschen Team Sunweb war mit der Hypothek von 53 Sekunden Rückstand auf Quintana in den letzten Abschnitt gestartet. Doch bei über 30 Grad Celsius zeigte sich schnell, dass Dumoulin seine klaren Vorteile im Kampf gegen die Uhr würde ausspielen können. Etappenrang zwei hinter Landsmann Jos van Emden (Lottonl-Jumbo) reichte zum großen Triumph. Dumoulins Erfolg ist der erste Grand-Tour-Sieg eines Niederländers seit 37 Jahren.
Dumoulin hatte das begehrte "Maglia Rosa" zur Mitte des dreiwöchigen Rennens erstmals erobert, dann aber am Freitag an Quintana abgeben müssen. Manches erinnerte an die Vuelta 2015, als Dumoulin den Sieg vor Augen hatte, dann aber einbrach. Diesmal sicherte Dumoulin mit einem starken Auftritt in seiner Paradedisziplin den größten Erfolg seiner Laufbahn. "Ich war so nervös, aber jetzt habe ich es geschafft. Ich hatte heute gute Beine", meinte er.
Was bei der Jubiläumsausgabe der Italien-Rundfahrt Anfang Mai auf Sardinien begonnen hatte, krönte Dumoulin nach insgesamt 3609,1 km. Dazwischen lagen nicht nur der Ätna auf Sizilien, die Abruzzen oder die Alpen mit Mortirolo und Stilfser Joch, sondern auch eine in der Geschichte der großen Landesrundfahrten seltene Zuspitzung der Entscheidung auf das Schlusswochenende.
'Ich werde mich nur auf mein Rennen konzentrieren'
Vier Fahrer lagen vor dem abschließenden Kampf gegen die Uhr innerhalb von einer Minute - auch weil Dumoulin zwar am Samstag den Anschluss an Nibali, Quintana und Etappensieger Thibaut Pinot verlor, den Schaden aber mit großer Anstrengung begrenzte. "Alles kann passieren", sagte er danach, "ich werde mich nur auf mein Rennen fokussieren."
Lange hatte Dumoulin souverän gewirkt, bis ihn plötzliche Magenprobleme mit einem unfreiwilligen "Toilettenstopp" auf der Königsetappe am vergangenen Dienstag wieder in Bedrängnis brachten. In den Tagen danach sah er sich zahlreichen Attacken ausgesetzt, immerhin blieb Dumoulin in Schlagdistanz. Die Ausgangssituation hätte dadurch vor dem Schlussakkord kaum spannender sein können.
Aus deutscher Fahrer-Sicht wurde der Giro nicht zu einer Wiederholung des grandiosen Vorjahreserfolges. Sieben Etappensiege hatte es 2016 gegeben, diesmal steht nur ein Erfolg von Sprinter André Greipel (2. Etappe) zu Buche. Für die deutschen Teams war die Corsa Rosa dafür umso positiver. Bora-hansgrohe holte einen Tagessieg durch den Österreicher Lukas Pöstlberger, der auch kurzzeitig Rosa trug, und eine Reihe weiterer Top-3-Platzierungen. Überstrahlt wurde all das aber vom Triumph für Sunweb und Dumoulin.