
Bei Gladbach-Gegner Fenerbahce reihte sich ein Skandal an den nächsten. Manipulationsverdacht und Zuschauerausschreitungen scheinen nur die Spitze des Eisberges zu sein. Aber warum spielt Fener noch in der Süper Lig? sportal.de klärt auf.
In der Türkei galt bis vor einigen Jahren die Faustregel, entweder Du bist Anhänger eines der drei großen Istanbuler Vereine oder von Trabzonspor. Sportlich konnten einige Mannschaften der Zentral- und der West-Türkei in den letzten Jahren aufholen, Bursaspors Meisterschaft 2010 ist ein Beleg dafür. Die Zahl ihrer Anhänger über die jeweiligen Stadtgrenzen hinaus ist jedoch weiterhin überschaubar.
Eine Luxusposition, sollte man denken, für Vereine wie Galatasaray, Besiktas oder Fenerbahce. Aber ausgerechnet letztgenannter Club schaffte es in den letzten Jahren durch dauerhaft produzierte Negativschlagzeilen, einen Teil der eigenen Anhängerschaft vor den Kopf zu stoßen.
Fenerbahce sowas wie der FC Bayern der Türkei
Der Gegner von Borussia Mönchengladbach im letzten Vorrundenspiel der Europa League fasziniert seit Generationen die türkischen Fußball-Anhänger. Wirtschaftlich und vom Fan-Potenzial gilt der Verein als das FC Bayern der Türkei. Und in der Türkei ist so ziemlich jeder dem Spiel mit dem runden Leder zugetan - unabhängig von Alter und Geschlecht.
Als der türkische Fußball-Verband in den letzten Jahren dazu überging, Vereine zu sanktionieren, indem man erwachsene, männliche Zuschauer von Ligapartien ausschloss, tat das der Stimmung in den Stadien kaum einen Abbruch. Frauen und Kinder füllten die Ränge und sorgten für eine nicht minder fanatische Stimmung vor und während der 90 Minuten.
Ein Spiel von solch einer Kulisse ist etwas Besonderes
Der ehemalige deutsche National-Keeper Harald "Toni" Schumacher sagte in einem Interview, das die FIFA für ihre Homepage mit ihm führte: "Ein Spiel in einem türkischen Stadion mit solch einer Kulisse zu erleben, ist für jeden Fußballfan das Größte." Schumacher muss es wissen, er hat in seiner Karriere viele große Sportstätten gesehen. Nach seiner Zeit beim FC Schalke 04 und vor seinem kurzen Intermezzo bei den Bayern war er Keeper bei Fenerbahce und verlebte dort zwischen 1988 und 1991 offensichtlich eine gute Zeit.
Der Vize-Präsident des 1. FC Köln sagt zudem in demselben Interview "In der Türkei ist Fußball wie eine Religion". Damit trifft er wohl unbewusst des Pudels Kern. Denn was Schumacher als positive Erscheinung bewertet, kann auch zur Erklärung der Nibelungentreue der Fener-Fans herangezogen werden.
Präsident in Manipulationsskandal verwickelt
Am 02. Juli diesen Jahres wurde der Präsident des auf nationaler Ebene erfolgreichsten Fußball-Vereins der Türkei, Aziz Yildirim, zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Neben Yıldırım wurden 19 weitere Spieler, Trainer und Verantwortliche auch anderer Vereine zu Haftstrafen zwischen fünf Monaten und zweieinhalb Jahren verurteilt. Das Gericht befand den Präsidenten schuldig, vier Spiele von Fenerbahce gegen Karabükspor, Ankaragücü, Sivasspor und Istanbul BB verschoben und zusätzlich die Partie Eskisehirspor gegen Trabzonspor manipuliert zu haben.
Yildirim hat Berufung eingelegt und der zweite Prozess wird mit Spannung erwartet. Die Konsequenzen, die sich aus dem Urteil ergeben, sind schnell aufgezählt: Es gibt keine! Einzig in der Saison 2011/12 schloss der türkische Verband die Mannschaft von der Teilnahme an den europäischen Wettbewerben aus - und das auch nur auf immensen Druck der UEFA. Der Verein spielt weiterhin in der ersten Liga, als sei nichts gewesen. Yildirim selber ist weiterhin Präsident des Clubs. Und die Fans, sie halten dem Verein in derselben Form wie vorher die Treue.
Hat die Politik bei Fener die Finger im Spiel?
Man zweifelt nicht an seiner Unschuld, Verschwörungstheorien machen die Runde. Yildirim sei den wichtigen Männern im eigenen Verein und den politischen Machern des Landes zu mächtig geworden. Niemand Geringeres als Premierminister Recep Tayyip Erdogan, selber Mitglied bei Fener, habe die Ermittlungen im Manipulationsskandal zumindest gestattet, wenn nicht sogar initiiert. Es sind Gerüchte wie diese, die durch Internetforen und türkische Teestuben wabern wie der Gestank von verfaulenden Tierkadavern - der Club wird diese Gerüch(t)e einfach nicht los.
Gleichzeitig heißt es unter anderem von Seiten der Anhänger Galatasarays, Erdogan habe für die milden Urteile gesorgt, weil er die Bewerbung um die Ausrichtung der Europameisterschaft 2020 in Gefahr sah. Widersprüchlicher geht es kaum. Genährt wurden die Vermutungen, dass die Politik erheblichen Einfluss genommen habe durch die Erklärungen des Premierministers, die betroffenen Clubs sollten nicht bestraft werden, dafür aber die handelnden Personen. Er wiederholte dies in einem Gespräch mit UEFA-Präsident Michel Platini, was dieser lapidar mit den Worten "Das ist nicht die Vorgehensweise der UEFA!" abtat.
Wie jedoch können sich die Anhänger auf den Rängen voller Inbrunst über die Siege des eigenen Teams freuen, solange ein des Betruges schuldig gesprochener Präsident die Geschicke des Clubs in Händen hält? Sie schaffen es anscheinend, indem sie sich mit Ausschreitungen ablenken. Statt sich kritisch mit den Vorgängen im eigenen Klub auseinanderzusetzen, ging man zunächst für die Freilassung Yildirims auf die Straße. Eine Demonstration jagte die nächste.
Gewaltbereitschaft unter Fenerbahce-Fans steigt
Seit geraumer Zeit fallen die fanatischen Anhänger jedoch durch eine Gewaltbereitschaft auf, die sich im Vergleich zu den letzten Jahren zu steigern scheint. Im Mai 2012 kam es im Anschluss an die verlorene Meisterschaft zu Zusammenstößen von Fenerbahce-Fans mit der Polizei und mit Anhängern des Rivalen Galatasaray. 36 Menschen wurden verletzt, ein Mann war von einem Schuss getötet worden, ein anderer erlitt einen Herzinfarkt und starb.
Negativer Höhepunkt auf europäischer Ebene waren die Ausschreitungen beim Europa League Spiel in Marseille vor zwei Wochen, als circa 40 Ultras teilweise den Platz stürmten und das Spiel noch in der ersten Halbzeit kurz vor einem Abbruch stand. Für diese Ausschreitungen sind sicherlich vor allem in Frankreich lebende Anhänger des Clubs verantwortlich zu machen. Aber auch sie sind Anhänger dieser unkritischen Religion.
Beispiel Juventus zeigt ein Alternativ-Bild
Am heutigen Abend wird das Sükrü-Saracoglu-Stadion wieder beben, als sei nichts gewesen. Die B-Elf der Borussia wird eine Atmosphäre erleben, die sie in kaum einem anderen Stadion Europas geboten bekommt, auch wenn es sportlich um absolut nichts mehr geht. Fener ist als Gruppensieger für die nächste Runde qualifiziert, der Borussia ist ihr zweiter Platz nicht mehr zu nehmen. Daher ist auch eine friedliche Atmosphäre zu erwarten.
Aber, diese Atmosphäre hat für die kritischen Anhänger des Clubs einen sehr faden und bitteren Beigeschmack. So lange Aziz Yildirim Präsident bleiben darf, wird sich daran auch nicht viel ändern. Ein Blick nach Italien zur "Alten Dame Juventus Turin zeigt, wie es anders laufen kann. Der Verein wurde im Zuge des italienischen Manipulationsskandals im Jahr 2006 in die zweite Liga strafversetzt, der komplette Vorstand trat zurück. Natürlich war es für die Anhänger ein hartes Schicksal, ihre Helden nicht in der Serie A zu sehen, sondern in den Niederungen des italienischen Fußballs. Aber man stieg wieder auf und kann heute wieder erhobenen Hauptes am Spielbetrieb teilnehmen und um die Meisterschaft kicken.
Serkan Agci