
Bayern, Schalke, Dortmund - die Bundesliga spielt ihre beste Rolle in der Champions League seit langen Jahren. Sind die deutschen Clubs nun wieder in der Spitze Europas angekommen? Und werden sie dort bleiben? sportal.de macht sich so seine Gedanken.
Fast hätte Borussia Dortmund zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen gegen Real Madrid gewonnen. Sowohl beim Englischen als auch beim Spanischen Meister führte der BVB bis in die Schlussminuten. Schalke holte vier Punkte gegen Arsenal, Dortmund vier gegen Real Madrid. Und Bayern München liegt in der Bundesliga sieben Punkte vor Schalke und elf vor Dortmund, scheint also sogar noch stärker zu sein.
Was sagt uns das über den Leistungsstand der Bundesliga im europäischen Vergleich? Immerhin haben deutsche Clubs seit mehr als elf Jahren keinen internationalen Titel mehr gewonnen - zeichnet sich nun eine Wachablösung ab? Dass es seit einigen Jahren eine leichte Tendenz zugunsten der Bundesliga gibt, ist zwar unbestritten - schließlich hat vor allem die Serie A an finanzieller Kraft verloren und besitzt nicht die gleichen infrastrukturellen Voraussetzungen wie die deutschen Clubs mit ihren größtenteils moderneren Stadien und größeren Zuschauerzahlen.
Aber die Bilanz der Premier League- und La Liga-Clubs aus den letzten Jahren liest sich immer noch klar besser als die der Bundesliga: Nur in jeweils einer der vergangenen fünf Saisons holten die deutschen Clubs in der Fünfjahreswertung der UEFA mehr Punkte als die englischen beziehungsweise die spanischen Teams. Selbst in der laufenden Spielzeit waren die spanischen Clubs bisher erfolgreichere Punktesammler als die Bundesligisten, und die Premier League-Teams liegen nur knapp hinter den deutschen Vertretern.
Nicht mehr nur der FC Bayern
In der letzten Saison zeigte Bayern München schon, dass es wieder zur europäischen Spitze gehört, mit dem Einzug ins Finale der Champions League und der unglücklichen Niederlage im Elfmeterschießen gegen Chelsea. 2011/12 war allerdings auch geprägt vom letzten Platz des BVB und der desolaten Vorstellung von Bayer Leverkusen in Barcelona. In der aktuellen Saison zeigen sich nun auf einmal Schalke und Dortmund auf Augenhöhe mit den Topteams des Kontinents.
Um die Leistungen der beiden Ruhrgebietsgiganten besser einordnen zu können, muss man allerdings auch festhalten, dass sich englische Clubs generell in der aktuellen Saison sehr schwer tun. Arsenal, Manchester City und Chelsea verloren alle schon Spiele in der Champions League, United tat sich in jedem seiner Spiele in der leichtesten Gruppe gegen Galatasaray, Cluj und Sporting Braga schwer. Zugleich sehen die Fans in der Premier League immer wieder hochattraktive Spiele voller Tempo und Dynamik. Wie passt das zusammen?
Tatsächlich scheint es den englischen Topteams in erstaunlicher Weise an taktischer Reife zu fehlen, wenn es auf den Kontinent zu den besten Clubs der Welt geht. Arsenal war jahrelang das Musterbeispiel für diese Schwächen - ein Team, das, seit Arsène Wenger das Sagen hatte, in England immer wieder mit tollem Fußball begeisterte, in Europa aber meistens die Segel streichen musste, sobald es gegen die erste richtig gute Mannschaft aus Italien oder Spanien ging.
Bundesliga: Desolate Bilanz gegen Premier League seit 2001
Nicht umsonst schaffte es Chelsea mit sehr konservativem, auf defensive Kompaktheit aufbauenden Fußball, die Champions League zu gewinnen, und nicht mit klassischen Tugenden der Premier League. In den direkten Vergleichen zwischen Bundesliga und Premier League in den letzten zehn Jahren waren die Verhältnisse dennoch klar: 19 mal trafen deutsche Clubs zwischen 2002/03 und 2011/12 auf englische Teams, und nur zweimal hatten die Bundesligisten über ein oder zwei Spiele die bessere Bilanz. Beide Male war es Bayern München, das sich duchsetzen konnte - 2005 gegen Arsenal und 2010 gegen Manchester United.
Umso beachtlicher erscheint der "Sieg" Schalkes über Arsenal, wenn man die beiden Spiele zusammenzählt. Und auch Dortmund war beim 1:1 in Manchester im Oktober klar die bessere Mannschaft. Da der BVB diese Leistung zweimal gegen Real Madrid bestätigen konnte und Schalke gegen Arsenal in beiden Spielen Vorteile hatte, ist es keine zufällige Momentaufnahme mehr, beide als echte Spitzenmannschaften anzusehen.
Uli Hoeneß versuchte in der Vorsaison, seinem Frust über die Dortmunder Dominanz dadurch Luft zu machen, dass er forderte, der BVB solle erst einmal in Europa etwas erreichen, bevor er sie als Spitzenmannschaft anerkenne. Jetzt müsste der Bayern-Präsident die Perspektive möglichst wieder umkehren und sagen, dass ein Team, das neun Punkte Rückstand in der Liga hat, nicht ernst genommen werden könne. Das hat er so natürlich nicht getan, aber die Medien sind weiter schnell bei der Hand mit negativen Urteilen nach nur einem verlorenen Spiel.
Schalke keine Spitzenmannschaft?
Das war nirgendwo besser zu sehen als in der Süddeutschen Zeitung, in der am Tag vor Schalkes zweitem Spiel gegen Arsenal zu lesen war: "Die Spiele gegen Montpellier, Düsseldorf und nun Hoffenheim zeigen, dass die Schalker die Reife einer Spitzenmannschaft noch nicht besitzen". Nach dieser Messlatte (wer ein Spiel verliert, ist keine Spitzenmannschaft) gibt es in ganz Europa keine solche, außer vielleicht Barcelona. Denn auch Bayern verlor ja in Minsk und gegen Leverkusen.
Tatsächlich muss man sowohl Schalke als auch vor allem Dortmund als europäische Spitzenmannschaften ansehen. Was nicht heißt, dass sie nun beide ins Halbfinale einziehen (noch sind beide nicht einmal sicher im Achtelfinale), aber gerade der BVB kann den Wettbewerb gewinnen. Warum denn nicht? Und auch Schalke hat einen sehr guten Kader und eine Spielweise gefunden, die auf europäischer Ebene funktioniert. Bayern wiederum ist eher noch stärker als in der vergangenen Finalsaison.
Was genau macht die Bundesligavertreter denn nun so stark? Es gibt keine für alle drei identische Antworten. Im Fall von Borussia Dortmund heißt die Antwort wohl, dass es kaum ein Team in Europa gibt, das so konsequentes Pressing zu spielen vermag. In dieser Konsequenz ist das in der Premier League gar nicht bekannt. Bayern kommt natürlich mehr über den Ballbesitz und die individuelle Klasse, aber generell wird in den europäischen Medien das schnelle Umschalten inzwischen als "deutsche Spielweise" identifiziert, die den Bundesligafußball deutlich von der ballbesitzorientierteren spanischen Spielweise unterscheidet.
Die taktischen Vorteile, die die Bundesligisten in der Champions League offenbaren (die Europa League ist in dieser Hinsicht generell kein Gradmesser), kommen aber nur zur Geltung, weil sich auch die ökonomischen Verhältnisse etwas verändert haben. Schalke zum Beispiel hat einfach einen starken Kader und keine No Name-Mannschaft, und Bayern gibt ohnehin im europäischen Maßstab sehr viel Geld für sein Aufgebot aus (nicht so viel wie Manchester City oder Paris Saint-Germain, aber immer noch sehr viel).
Weder die sportliche noch die finanzielle Entwicklung aber ist nun für die nächsten Jahre vorgezeichnet. Der strukturelle Vorsprung der Premier League-Topclubs in vielen ökonomischen Kategorien ist gegenüber allen deutschen Clubs außer Bayern immer noch groß, was es United, Arsenal und Chelsea leichter machen wird, auf Fehlentwicklungen zu reagieren. Real Madrid und Barcelona wiederum könnten höchstens von der anhaltenden Schwäche des Rests der spanischen Liga heruntergezogen werden, aber diese Schwäche ist ja auch ein Ergebnis der erdrückend starken Marktposition der beiden Erzrivalen.
Fazit: Kurzfristig sieht es so aus, als seien die besten deutschen Clubs zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder in der europäischen Spitze angekommen. Ob sie dort bleiben und ob sie ihre Stärke schon in dieser Saison in den Champions League-Titel umsetzen können, bleibt abzuwarten.