
Als Bayer Leverkusen das letzte Mal in München gewinnen konnte, waren Torhüter Bernd Leno und André Schürrle noch gar nicht geboren. 23 Jahre dauerte die Durststrecke, ein unglückliches Eigentor von Jerome Boateng besiegelte die erste Saisonniederlage der Bayern.
Die Werkself siegte im Schneetreiben in München mit 2:1 und macht so die Bundesliga wieder spannend. Die Bayern bleiben zwar Tabellenführer, nach der ersten Heimniederlage seit November 2011 (0:1 gegen Borussia Dortmund) ist der Vorsprung auf Verfolger FC Schalke aber auf vier Zähler geschrumpft.
Stefan Kießling hatte Bayer kurz vor dem Pausenpfiff in Führung gebracht (42.), Mario Mandzukic schaffte spät den Ausgleich (77.). In der ausverkauften Allianz Arena rechneten dann alle mit einer fulminanten Schlussoffensive der Bayern gekrönt vom Siegtreffer, doch in der 87. Minute köpfte Joker Sidney Sam Boateng an und von dessen Gesicht kullerte der Ball am verdutzten Manuel Neuer vorbei ins Tor. Nach acht Siegen in Folge hat es die Bayern somit erstmals in dieser Saison erwischt, den Bundesliga-Startrekord hat der Titelfavorit trotzdem sicher.
Alaba erstmals in der Bayern-Startelf
Bayern-Trainer Jupp Heynckes hatte vor dem Anpfiff eine Überraschung parat, für den verletzten Franck Ribéry brachte er nicht Neuzugang Xherdan Shaqiri, stattdessen begann David Alaba auf der linken Seite. Shaqiri nahm auf der Bank Platz, neben ihm saß auch Arjen Robben. Wie Ribéry nicht im Kader war Javi Martinez, der ebenfalls nicht rechtzeitig fit wurde.
Somit setzte Heynckes auch auf die Viererkette der vergangenen Wochen, Holger Badstuber begann wieder als Linksverteidiger. Auf lange Sicht wird Badstuber aber wieder in die Mitte drängen, Dante und Jerome Boateng werden sich dann um den zweiten Platz streiten müssen. Eine solche Tiefe im Kader hat Leverkusen nicht, für den verletzten Linksverteidiger Michal Kadlec rückte erneut Hajime Hosogai nach hinten und traf überwiegend auf Thomas Müller, den Topscorer der Bundesliga, und Bayern-Kapitän Philipp Lahm, der sehr hoch verteidigte.
Taktisch setzte Bayers Trainerduo Sami Hyypiä und Sascha Lewandowski wie beim bislang einzigen Spiel gegen eine Spitzenmannschaft in Dortmund auf eine defensive Dreierreihe mit Simon Rolfes, Stefan Reinartz und Lars Bender. Gegen den BVB setzte es eine 0:3-Pleite - mehr Mut zum Risiko löste die Erinnerung an diese Partie zunächst nicht aus.
Nach 20 Minuten wandelt sich Bayers Angst in Mut
Denn ein solche Marschroute - mit Gonzalo Castro, André Schürrle und Stefan Kießling standen nur drei Offensivkräfte auf dem Rasen - geht gegen den FC Bayern nur gut, wenn kein Gegentor fällt. Das klappte in der Anfangsphase nur deshalb, weil Bastian Schweinsteiger (2.) mit einem Hackentrick sowie Mario Mandzukic (14.) und Alaba (16.) jeweils per Kopfball die Großchancen zur frühen Führung nicht nutzten.
Die Bayern waren trotzdem von der ersten Minute an spielbestimmend, zeigten variablen Angriffsfußball und hätten die Führung verdient gehabt. Vor allem die offensive Dreierreihe mit Müller, Alaba und Toni Kroos war viel unterwegs und nutzte die sich bietenden Freiräume. Leverkusen beschränkte sich fast ausschließlich auf die Defensive - bis zum 0:1 schoss die Werkself nicht einmal auf das Tor von Bayern-Keeper Manuel Neuer.
Nach 20 Minuten verebbte der Angriffsschwung der Bayern dann aber, Leverkusen stand nicht mehr ganz so tief und so bekam der Gast mehr Zugriff in den Zweikämpfen. In dieser Phase fehlte im Spiel der Bayern das Überraschungsmoment, gefährlich wurde es nur noch nach Einzelaktionen. Schweinsteiger scheiterte beispielsweise mit einem Fernschuss an Torhüter Bernd Leno (40.).
Bayer wurde immer mutiger und so ging kurz vor dem Pausenpfiff sogar die Kontertaktik von Hyypiä und Lewandowski auf: Nach einem Ballverlust der Bayern schaltete Rolfes blitzschnell, spielte auf der rechten Seite Schürrle frei und der sah in der Mitte Kießling. Lahm war schneller am Ball und wollte klären, der Kapitän erwischte den Ball aber nicht richtig und schoss Kießling an, der Torjäger der Leverkusener brauchte nur noch einzuschieben (42.). Bei nur einem Torschuss war die Führung glücklich, nach der starken Anfangsphase der Bayern war das Spiel insgesamt aber zu statisch.
Totale Offensive: Shaqiri, Robben und Pizarro werden eingewechselt
Heynckes reagierte in der Pause und brachte für Badstuber den schon zu Beginn erwarteten Shaqiri. Alaba rückte nach hinten und bildete zusammen mit Shaqiri das neue Duo auf der linken Seite, Heynckes wollte so die Rechtslastigkeit im Bayern-Spiel auflösen. Dieser Schachzug ging sofort auf, Bayern wirkte wieder druckvoller und der Schweizer bereitete die erste Chance des zweiten Durchgangs durch Toni Kroos vor (49.).
Doch wie schon in der ersten Halbzeit ging die Überfalltaktik der ersten Minuten nicht auf, Leverkusen warf sich mit Vehemenz in jeden Zweikampf und verteidigte leidenschaftlich. Heynckes ging deshalb sogar komplett ins Risiko, der gerade erst genesene Robben kam für den angeschlagenen Luiz Gustavo (59.).
Eine Minute später hätte Kießling mit einem Kopfball sogar auf 2:0 erhöhen können, die Entlastungsangriffe der Gäste waren selten, aber stets gefährlich. Insgesamt war es aber ein Spiel auf ein Tor, Bayern tat sich sehr schwer, den engmaschigen Doppel-Riegel der Werkself zu knacken.
Einmal gelang es dann aber doch: Der ebenfalls eingewechselte Claudio Pizarro ließ mit einem Haken den ansonsten starken Philipp Wollscheid aussteigen, seine Flanke landete auf dem Kopf von Torjäger Mandzukic, Leno war chancenlos (77.). Das Signal zur Schlussoffensive war gegeben, doch Bayer hielt weiter gut dagegen und schaffte das unglaubliche Comeback.
Nach einer Flanke von Castro kam der kurz zuvor eingewechselte Sidney Sam, in der Liga nicht unbedingt als Kopfballungeheuer bekannt, per Kopf an den Ball, wirklich gefährlich war sein Versuch nicht. Sam traf aber das Gesicht von Boateng und so trudelte der Ball ins Bayern-Tor (87.). Pizarro traf in der Nachspielzeit nur noch die Latte - die erste Niederlage der Saison war besiegelt.