Vitali Klitschko könnte am 8. September auf einen "lupenreinen Demokraten" treffen. Ob Wladimir Putin in Moskau am Ring sitzen wird, ist unklar. Fest steht, Manuel Charr trifft auf einen lupenreinen Sportsmann und freut sich über den unerwarteten Zahltag.
Altkanzler Gerhard Schröder nannte Wladimir Putin einst einen "lupenreinen Demokraten". Wenn der Präsident der Russischen Föderation am 8. September im Moskau am Boxring sitzen wird, dann wird sicher jeder beipflichten, wenn es heißt, Vitali Klitschko sei ein lupenreiner Sportsmann. Wollen wir das etwa in Frage stellen? Bevor Ihnen blitzartig der Wutschweiß ausbricht, die Maus aus der Hand flutscht und Sie mit Zornesröte auf Ihrer Tastatur einen Kommentar einhacken - lesen Sie doch erst einmal in aller Ruhe weiter.
Vitali Klitschkos Gegner am 8. September in Moskau heißt Manuel Charr. Der 27-jährige Deutsch-Libanese ist 111 Kilogramm schwer und 1,92 Meter groß. Charr bestritt bisher 21 Kämpfe, ist ungeschlagen bei einer KO-Quote von 52.38 Prozent. So weit, so gut. Auf den ersten Blick also ein junger hungriger deutscher Boxer, so möchte man meinen. Schaut man allerdings näher hin, dann sieht man, dass der "Diamond Boy" noch nicht einen hochkarätigen Gegner geboxt hat. Was man zudem nicht sieht, er hat eine enorm kurze Reichweite.
Wenn nichts mehr geht, geht Klitschko
Zunächst aber ein Karriereüberblick: Manuel Charr war früher Kickboxer, wurde dann von Sauerland unter Vertrag genommen. Nachdem er dort enttäuscht hatte, ging er über Spotlight zum Unviersum-Boxstall. Dort wurde er aber ebenfalls aussortiert. Nach einem kurzen Intermezzo bei Felix Sturm ist Charr inzwischen sein eigener Manager und hat vollkommen überraschend den großen Deal an Land gezogen. "Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden. Einen herzlichen Dank an das gesamte Klitschko-Team und RTL. Gott segne euch und eure Familien", so Manuel Charr nach Bekanntwerden des Klitschko-Deals.
Einer der besten Gegner von Charr bisher war Pedro Carrion. Der 35-jährige Kubaner trat nach zwei Jahren Ringpause gegen Charr an und verlor, zumindest auf dem Punktzettel, durch Mehrheitsentscheid nach Punkten. Ein Urteil, das vom Publikum mit Buh-Rufen quittiert und von vielen Beobachtern angezweifelt wurde. boxingpress.de wählte den Kampf bei den Fehlentscheidungen des Jahres 2006 auf Platz fünf. Damals hieß es: "Man darf sich wirklich fragen, ob es für ein emporstrebendes Talent nicht manchmal besser wäre, wenn es rechtzeitig auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt werden würde."
Klitschko-Gegner boxte nur Journeymen
Einer von Charrs weiteren "namhaften" Gegnern war Danny Williams. Der damals 37 Jahre alte Williams hatte zuvor schon gegen Dereck Chisora, Albert Sosnowski und Audley Harrison verloren. Nachdem der Brite in der siebten Runde eine Serie von Schlägen gesetzt hatte, antwortete Charr mit drei oder vier Schlägen, und der Ringrichter brach vollkommen überraschend ab. Einzig der KO gegen Gbenga Oloukun war eine befriedigende Leistung, als Charr Oloukun mit einem Körpertreffer überraschte, der wurde angezählt, wollte bei neun wieder in den Kampf zurück, doch der Ringrichter brach ab.
Manuel Charr ist kein sehr begabter Boxer. "Der Infight, das Arbeiten am Mann, ist meine große Stärke, sagte Charr einst laut boxingpress.de. Seine kurze Reichweite lässt ihm auch kaum eine Wahl. Er muss also ganz nah ran an Vitali Klitschko, und das wird sehr weh tun. Die Klitschkos scheinen aus dem Mormeck-Desaster nichts gelernt zu haben. Warum auch, es war ja finanziell ein voller Erfolg. Sportlich war es ein Mismatch. Die Zuschauer wollen das Spektakel und die sympathischen Ukrainer siegen sehen, die Ukrainer wollen siegen und viel Geld verdienen. Eine Win-Win-Situation für alle?
Klitschko spielt mit kleinen Jungs um große Kohle
Nein, denn ein sportliches Spektakel kann es nur geben, wenn der Gegner eine Chance, sei es auch eine geringe Chance, auf den Sieg hat. Jean-Marc Mormeck hatte nicht einmal die Chance auf einen Lucky Punch. Manuel Charr wird ebenfalls ein Spielball von Vitali werden. Aus Rücksicht auf den Fernsehpartner und die Werbeeinnahmen wird Vitali dem "Diamond Boy wahrscheinlich drei oder vier Runden geben, denn Vitali ist ein lupenreiner Sportsmann.
Wer freut sich also nicht auf den Show-Kampf in Russland? Vielleicht sitzt ja auch Altkanzler Gerhard Schröder am Ring und verspricht Wladimir Putin einen lupenreinen Schwergewichtsfight? Man darf nicht gespannt sein, denn in diesem Aufeinandertreffen geht es um Geld, Einschaltquoten und die Show, mit Sport hat das leider wenig zu tun.
Michel Massing
