Das IOC hat im wahrsten Sinne des Wortes die Qual der Wahl. Peking oder Almaty: Egal, welcher Bewerber am Freitag in Kuala Lumpur zum Ausrichter der Winterspiele 2022 gewählt wird - es geht wohl nur um das geringere Übel. Die Diskussionen um die Zukunft der olympischen Bewegung werden weitergehen. Und könnten auch einen negativen Einfluss auf Hamburg 2024 haben.
"Wir machen kein Ranking zwischen China und Kasachstan. Es ist eine schwere Entscheidung, weil es eben in beiden Ländern zu massiven Menschenrechtsverletzungen kommt", sagte Wolfgang Büttner von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dem SID. Und auch DOSB-Präsident Alfons Hörmann gab zu: "Dass es kritische Diskussionen vor der Wahl, bei der Wahl und nach der Wahl bis hin zur Durchführung der Spiele gibt, ist aus meiner Sicht klar." Er betont aber auch: "Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die Durchführung von Olympischen und Paralympischen Spielen eher eine Chance für den gesellschaftlichen Wandel im Gastgeberland ist."
"Wahl wird nicht einfach sein"
Klar ist aber auch die offizielle Sprachregelung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). "Wir haben in Peking und Almaty zwei hervorragende Kandidaten. Die Wahl wird nicht einfach sein", sagte IOC-Präsident Thomas Bach dem SID. Erstmals wird der deutsche Ober-Olympionike dabei in seiner Funktion den berühmten Zettel mit dem Sieger aus dem Umschlag ziehen. Und obwohl die Wahl eigentlich noch nicht unter Bachs Reformagenda 2020 fällt, drängte das IOC darauf, dass sich beide Bewerber dennoch den Regeln unterwarfen.
Human Rights Watch fordert ungeachtet dessen ein unabhängiges Beratergremium, das die Situation vor Ort fortlaufend beobachten soll. "Es ist eben die Erfahrung, dass, wenn man die Spiele in Länder wie Kasachstan oder China vergibt, es ohne Überprüfungsmechanismen zu zusätzlichen Menschenrechtsverletzungen kommt", betonte Büttner: "Wir denken, dass die Auswahl des Kandidaten ein Test für die Reformen des IOC ist."
Peking ist Favorit
So viele traurige Gemeinsamkeiten die beiden Kandidaten beim Thema Menschenrechte haben, so unterschiedlich sind ihre Bewerbungskonzepte. Peking gilt dabei vielen als Favorit. Der wohl größte Vorteil: Die chinesische Hauptstadt will 300 Millionen Landsleute an den Wintersport heranführen. Ein gigantischer Markt und eine große Verlockung für das IOC. Zudem hat die Metropole die Erfahrung der Sommerspiele 2008.
Von kompakten Spielen kann in diesem Fall aber keine Rede sein. In drei Regionen sollen die Spiele stattfinden, teilweise bis zu 160 Kilometer von Peking entfernt. Die gigantischen Kosten für die Hochgeschwindigkeitsverbindungen dorthin sind aber nicht im Bewerbungsbudget von etwas über drei Milliarden Euro eingerechnet. Umgesiedelt werden müssten auch mehrere Dörfer, der Schnee in den nicht geraden hochalpinen Gemeinden müsste ohnehin zu einem hohen Anteil künstlich hergestellt werden. Umweltbelastungen inklusive.
Eine andere Herangehensweise verfolgt das seit Jahren autoritär von Präsident Nursultan Nasarbajew geführte Kasachstan: Alle Austragungsorte innerhalb von 30 Kilometern, Naturschnee und die Tradition als frühere Wintersporthochburg. Doch auch in Kasachstan gibt es Probleme. Trotz des großen Reichtums an Bodenschätzen plagen das Land finanzielle Probleme. Nasarbajew hielt sich zudem in den letzten Monaten auffallend zurück, wenn es um Olympia ging. Ein möglicher Grund: China investierte zuletzt viele Milliarden in ein Öl- und Gasfeld am kaspischen Meer. Ob Nasarbajew nach Kuala Lumpur reist, ist noch offen.
"Das ist abgehakt"
Dabei hatte es eigentlich eine ganze Reihe womöglich besser geeigneter Kandidaten gegeben, doch nach und nach zogen sich alle Bewerber zurück - wie auch München. Eine Volksabstimmung scheiterte am Willen der bayrischen Bürger. "Das ist abgehakt", sagte Hörmann.
Bei der Session in Kuala Lumpur gilt die ganze Aufmerksamkeit der deutschen Delegation nun der Hamburger Olympiabewerbung. Doch die könnte Schaden nehmen, denn schon beim Votum gegen München 2022 spielte die sportpolitische "Großwetterlage" eine wichtige Rolle. Und Rückenwind für die Bürgerbefragung in der Hansestadt Ende November wird weder das Votum für Peking noch das für Almaty bringen.