Das Finalwochenende in Sofia ist längst geplant. "Meine Frau und meine drei Töchter haben sich schon Tickets besorgt und die Flüge gebucht. Zumindest meine Familie glaubt fest daran, dass wir es schaffen", sagt Vital Heynen. Auch der Volleyball-Bundestrainer traut seinem Team die erste deutsche EM-Medaille zu. "Das hört sich jetzt vielleicht schlecht an, aber wir sind Weltspitze, Punkt!", sagt Heynen vor der EM in Bulgarien und Italien (8. bis 19. Oktober) im Interview mit dem SID.
Nach WM-Bronze 2014 gehört sein Team zum Favoritenkreis - dank Heynen. Vor dreieinhalb Jahren, zu seinem Amtsantritt, waren Ansätze vorhanden. Dem Team gelang es allerdings nicht, gute Leistungen über einen längeren Zeitraum zu bestätigen. Heute betreut der Belgier eine Mannschaft, die an sich glaubt - auch dafür ist Heynen verantwortlich.
Der 46-Jährige ist ein Freund klarer Worte und selbstbewusster Zielformulierungen. Seit er die Nationalmannschaft übernommen hat, herrscht ein anderer Ton - Heynen fordert mündige, selbstsichere Spieler. Das Kollektiv steht an erster Stelle, um den Mannschaftsgeist weiterzuentwickeln, geht der Coach auch mal ungewöhnliche Wege.
Eine Woche lang setzte Heynen in der Vorbereitung auf Selbstfindung. Im Rahmen der "Höllenwoche" entzog der Trainer seinen Spielern die modernen Kommunikationsmöglichkeiten, Fernsehen war ebenfalls verboten. Die ersten drei Stunden nach dem Aufstehen war Schweigen angesagt, das Team habe dadurch viel besser zusammengefunden. "Früher hat man vielleicht über Frauen geredet, das passiert bei Männern; oder über Autos, das passiert auch bei Männern. Aber über die Flüchtlingsproblematik habe ich früher nie was gehört", sagt Heynen.
"Im Wald haben wir ein bisschen Angst gehabt"
Zum krönenden Abschluss gab es ein Survial Training: "Du hast nichts mehr, keine Leute mehr, nur die Eichhörnchen, die da rumlaufen. Im Wald haben wir ein bisschen Angst gehabt, als die Wildschweine vorbei gelaufen sind, aber es ist alles gut gelaufen."
Der Familienvater denkt weit über die kommenden Aufgaben hinaus. Seine Spieler langfristig weiterzubringen war das Ziel der ungewöhnlichen Maßnahme: "Da geht es nicht um diese EM, da geht es mehr um das Leben. Das ist eine separate Geschichte, damit können wir die EM nicht gewinnen."
"Verrückter" passt zum Team
Heynen ist als Volleyball-Verrückter bekannt, auch in seiner Freizeit spielt der Sport eine dominante Rolle. Sein "Spleen" passt hervorragend zu den deutschen Spielern, die Heynen als ruhig, lieb und nett bezeichnet. "Meine etwas verrückte Art bringt dann eine Mischung, die sehr gut läuft", beschreibt er das Erfolgsrezept.
Für Heynen ist das Turnier, das für die Volleyballer am Freitag mit dem Spiel gegen Co-Gastgeber Bulgarien (19.30 Uhr) beginnt, eine Zwischenstation auf dem Weg zum großen Traum. Im Januar kämpft das Team um die Qualifikation für die Sommerspiele in Rio de Janeiro. "Wir müssen die EM nutzen und am besten eine Medaille holen, um uns besser zu fühlen für die Quali in Berlin", sagt Heynen.
Genaue Vorstellungen davon, wann sich das gute Gefühl einstellt, hat der frühere Zuspieler natürlich auch. Platz sieben werde dafür nicht reichen, eventuell Rang vier. Aber am liebsten stünde der Trainer am 19. Oktober in der Armeec-Arena von Sofia ganz oben auf dem Treppchen - unter den Augen seiner Familie.