Bruno Labbadia fuchtelt mit den Armen, schreit Anweisungen, schiebt seine Spieler über den Platz, korrigiert - und manchmal applaudiert er sogar. "Der eine braucht einen Tritt, der andere muss gestreichelt werden", sagt Labbadia.
Der neue, der nächste Retter ist bei den Krisen-Kickern des Bundesligisten Hamburger SV im Nervenkrieg Abstiegskampf vor allem als Psychologe gefordert. "Ich muss wissen, was in den Köpfen der Spieler los ist", sagt der 49-Jährige im Mini-Trainingslager des Tabellenletzten in Rotenburg an der Wümme: "Das Wort Reset habe ich auch in den Mund genommen."
Die Wende muss her, so schnell wie möglich. Denn dem Bundesliga-Dino und Labbadia, in einer Art Panikreaktion verpflichtet, um den drohen Absturz in die 2. Liga doch noch abzuwenden, rennt die Zeit davon. Vor dem so enorm wichtigen Nordderby bei Werder Bremen (Sonntag, 15.30 Uhr im LIVE-TICKER) wartet man an der Elbe seit acht Spielen auf einen Sieg, seit fünf Partien auf ein Tor. Zuletzt wirkten die Auftritte blutleer, von Aufbäumen keine Spur, der freie Fall endete auf dem letzten Tabellenplatz mit vier Punkten Rückstand auf das rettende Ufer.
Wer nicht mitzieht, hat keine Chance
Deshalb zieht Labbadia jetzt die Zügel an und hofft, dass es nicht schon viel zu spät ist. "Wenn es irgendeinen gibt, der nicht mitzieht, hat er keine Chance", sagt "Pistolero" Labbadia, der noch im April 2010 vom HSV-Hof gejagt wurde und jetzt plötzlich der große, letzte Hoffnungsträger sein soll: "Es zählt nur eins: Ärmel hochkrempeln."
Um doch noch irgendwie zu retten, was fast schon nicht mehr zu retten ist, zieht Labbadia alle Register. Das jüngste von neun Kinder italienischer Gastarbeiter gilt als akribischer Malocher. Den Kurzaufenthalt im Fünf-Sterne-Hotel "Landhaus Wachtelhof" - Marmor-Bäder, Kaminbar, 1000 Quadratmeter große Wellness-Landschaft - nutzte er aber vor allem auch für viele, viele Gespräche.
"Die Mannschaft will - braucht aber deutliche Vorgaben und Halt", sagt Labbadia und beschwört nach der Kabinenschlägerei zuletzt zwischen Johan Djourou und Valon Behrami dem Zusammenhalt im Team: "Ein Störenfried hat hier nichts mehr zu suchen."
Letzer HSV-Sieg in Bremen vor 2983 Tagen
Am Sonntag wird der letzte HSV-Sieg in Bremen (17. Februar 2007) 2983 Tage her sein. Trotzdem suchte sich Labbadia für das Einschwören für das heiße Saisonfinale ausgerechnet Rotenburg an der Wümme aus. Das Städtchen mit gut 20.000 Einwohnern zwischen Hamburg und Bremen gilt als Werder-Land. Auf dem zum Trainingsplatz kamen die HSV-Spieler an einem Glaskasten vorbei - darin ein Plakat mit der Aufschrift: "100% Werderpartner". Labbadia brennt jedenfalls auf das Duell mit seinem Ex-Klub. "Gleich ein Hexenkessel, da habe ich Bock drauf", sagt der gelernte Versicherungskaufmann.
Und ein Blick zurück macht allen HSV-Fans Mut: Als Trainer gewann Labbadia immer das erste Pflichtspiel mit seinem neuen Klub und auch sein bisher einziges Nordderby als Coach gewann er mit dem HSV (2:1 am 20. Dezember 2009). Doch das alles interessiert seinen Widersacher Viktor Skripnik nicht. "Es ist unsere Pflicht und Aufgabe, die drei Punkte hier zu behalten", sagt der Ukrainer. Psychologe Labbadia hat kein Mitleid zu erwarten.