Spätestens als er den zwei Minuten vor ihm gestarteten Alberto Contador überholte, wusste Tony Martin: Heute geht es für ihn wieder um die Goldmedaille. Am Ende lag Martin wenige Sekunden vor Taylor Phinney und krönte damit eine insgesamt sehr schmerzvolle Saison.
Der Titelverteidiger gewann damit in Valkenburg seine zweite Goldmedaille, zuvor lag er schon im erstmals ausgetragenen Teamzeitfahren für Profi-Mannschaften mit seiner belgischen Equipe von Omega Quick-Step vorne. Martin wurde seiner Favoritenrolle gerecht, wirkte danach aber trotzdem geradezu konsterniert und kaputt, als er sich im Ziel auf den Boden legte. Die Gratulationen konnte er erst wenige Minuten später entgegennehmen.
Nach den 46,3 Kilometern im Kampf gegen die Uhr verwies er Phinney (+5,37 Sekunden) auf den Silberrang, Bronze ging an den Weißrussen Wassil Kirjienka (1:45 Minuten). Während der so unglücklich verlaufenen Tour de France sah es noch nicht danach aus, dass Martin die Saison mit einer olympischen Medaille - ebenfalls im Einzelzeitfahren - und zwei WM-Medaillen beenden würde. Martin kann damit auch im kommenden Jahr im Regenbogen-Trikot des Weltmeisters fahren.
Tony Martin dreht in der Mitte des Rennens auf
Martin war vor allem im mittleren Teil der Strecke so gut unterwegs, dass er Contador 15,3 Kilometer vor dem Ziel überholte - nur ein paar Dorfbewohner waren Zeuge. Bei der ersten Zwischenzeit hatte der Wahlschweizer noch einen Rückstand auf den ehemaligen Junioren- und U23-Weltmeister Phinney. Aber dann drehte Martin auf dem zum Teil noch feuchten Asphalt auf.
Allerdings wurde es zum Schluss noch einmal knapp, weil Phinney etwas besser den Schlussanstieg auf den gefürchteten Cauberg nahm. Aber es reichte für Martin, dem in Valkenburg wieder das Glück zur Seite stand. Auch im Mannschaftszeitfahren hatte der fünf Jahre jüngere Phinney zu Beginn der Titelkämpfe in Südholland mit Silber zufrieden sein müssen.
Bis zum Olympia-Silber in London war Martin, der die Saison bei der Peking-Rundfahrt am 14. Oktober beenden will, vom Pech verfolgt. Im April übersah eine Autofahrerin die Vorfahrt und beförderte Martin ins Krankenhaus. Schwere Gesichtsverletzungen sorgten für eine Zwangspause. Die Tour de France sollte zur großen Wiedergutmachung dienen. Aber beim ersten Saisonhöhepunkt vor London machte im Prolog erst ein zerschnittener Reifen alle Hoffnungen auf Gelb zunichte. Dann stürzte er schwer und brach sich das Kahnbein der linken Hand. Ohne Operation nur mit einer stabilisierenden Spezialschiene überstand Martin die nächsten Wochen und bereitete sich stark gehandicapt auf die Spiele vor.
Wiggins und Co.: Die Konkurrenz fehlt
Obwohl beim Kampf gegen die Uhr in der Region Limburg einige Protagonisten fehlten, hatte der Sieg für Martin keinen geringeren Wert als im Vorjahr. "Ich bin unheimlich stolz darauf", sagte der Zeitfahr-Spezialist, der sich aber nicht für die Niederlage in London revanchieren konnte. Denn in Valkenburg fehlte neben Olympia- und Toursieger Bradley Wiggins und dessen Kronprinz Christopher Froome (beide Großbritannien) vor allem der vierfache Titelträger Fabian Cancellara aus der Schweiz, der im Londoner Straßenrennen schwer gestürzt war. Vuelta-Sieger Contador landete nur auf Rang neun.