Am "goldenen Dienstag" für den deutschen Radsport befand sich Lisa Brennauer in einem Mix aus Erschöpfung und überschäumendem Glücksgefühl, als der Himmel über Ponferrada seine Schleusen öffnete. Nur wenige Sekunden vor einem wolkenbruchartigen Regenguss rettete sich die deutsche Meisterin bei der Straßen-WM ins Ziel und zur Goldmedaille im Einzelzeitfahren der Frauen.
Noch etwas fassungslos schaute die 26-Jährige um sich, doch sie hatte nach dem Sieg von Junior Lennard Kämna tatsächlich das zweite Regenbogentrikot für den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) errungen.Besonders mit einem überragenden Finale hatte sich die Allgäuerin den Erfolg nach 29,5 Kilometern verdient. In 38:48,16 Minuten war Brennauer 18 Sekunden schneller als die Ukrainerin Anna Solowej, die bis 2013 eine Dopingsperre abgesessen hatte und vor der Amerikanerin Evelyn Stevens die Silbermedaille herausfuhr. "Ich bin überglücklich. Ich war so platt, erst langsam sickerte mir der Sieg ins Bewusstsein", sagte Brennauer. U23-Europameisterin Mieke Kröger aus Bielefeld überzeugte in der spanischen Provinz Leon mit einer couragierten Vorstellung als Vierte.
Brennauer hatte aber auch einen unsichtbaren Verbündeten. Wäre sie nur zwei Minuten später gestartet, der Regen hätte die neue Weltmeisterin mitten in der kniffligen letzten Abfahrt erwischt. "Ich hatte richtig Glück, der Titel wäre futsch gewesen. Vielen, vielen Dank an den da oben", sagte Brennauer erleichtert, die nach Judith Arndt (2011, 2012) und Hanka Kupfernagel (2007) die dritte deutsche WM-Zeitfahrsiegerin ist. Kämnas Vorgänger war vor acht Jahren Top-Sprinter und Tour-de-France-Star Marcel Kittel. "Es ist ein großer Tag für den deutschen Radsport, wir sind sehr stolz", sagte BDR-Vizepräsident Udo Sprenger.
Brennauer ging das Rennen flott an und hatte bei der ersten Zwischenzeit direkten Kontakt zur Bestzeit von Solowej, die auch hauchdünn vor Titelverteidigerin Ellen van Dijk aus den Niederlanden lag. Während der Abstand zwischen Brennauer und Solowej lange sehr eng blieb, fiel Van Dijk auf den Schlusskilometern weit zurück, weil sie der plötzlich einsetzende Starkregen voll erwischte.
Brennauer hatte schon im Vorfeld zum Kreis der Medaillenanwärter gehört. "Ich habe alles dafür getan, dass es ein guter Tag wird", hatte sie gesagt. Das nötige Selbstvertrauen zog sie aus ihren exzellenten Vorleistungen im Laufe der Saison und auch die Strategie ging komplett auf. "Oben am Berg war mein Ziel, ich habe im letzten Anstieg richtig Gas gegeben", sagte Brennauer, die noch im Vorjahr in Florenz leicht erkrankt nur Elfte wurde. Diesmal verließen sie die Kräfte zur rechten Zeit: im Ziel. Völlig verausgabt hatte sich auch Kröger, doch die 21-Jährige belohnte sich mit einem glänzenden WM-Debüt.
Auch Kämna holt Gold
Bei den Junioren krönte Kämna (Wedel) seine Leistungen der bisherigen Saison. Der 18-Jährige dominierte bei seiner Goldfahrt die Konkurrenz in beeindruckender Weise. Der Norddeutsche, der in Cottbus trainiert, lag von Beginn an in Führung und baute diese stetig bis auf 44 Sekunden vor dem Amerikaner Adrien Costa aus. "Hoffentlich werde ich es bald realisieren. Vom Sieg habe ich nicht zu träumen gewagt", sagte Kämna, der besonders seinem Heimtrainer Rainer Gatzke dankte: "Er hat einen großen Anteil am Erfolg."Der talentierte Zeitfahrer erinnerte auf der Strecke stilistisch an den dreimaligen Weltmeister Tony Martin, der am Mittwoch nach seinem vierten WM-Triumph greift. "Er ist ein großes Vorbild. Ich hoffe, ich kann einmal so gut werden, aber das ist noch weit entfernt."