Eine unabhängige Kommission hat weiter mit der schmutzigen Vergangenheit des Radsports aufgeräumt und auch zwei ehemalige Weltverbandspräsidenten schwer belastet. Parallelen zum Fußball wurden schnell gezogen.
Lance Armstrong hatte Narrenfreiheit, und die Bosse im Weltverband vertuschten alles: Der mit Spannung erwartete CIRC-Report hat mit der schmutzigen Vergangenheit des Radsports weiter aufgeräumt und die UCI-Präsidenten Hein Verbrüggen und Pat McQuaid deutlicher denn je an den Pranger gestellt.
Während die Beschuldigten schwiegen, erhielt die aktuelle UCI-Führung sogar Lob von Transparency International. "Der Aufklärungswille bei der UCI ist auf jeden Fall größer als bei der FIFA", sagte die Sportbeauftragte Sylvia Schenk dem SID.
Die Vorwürfe in dem 227-seitigen Kommissionsbericht gegen Verbruggen und McQuaid, die auch namentlich genannt werden, ließen an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. "Zahlreiche Beispiele wurden gefunden, die zeigen, dass die UCI Lance Armstrong 'verteidigt' oder 'geschützt' hat und Entscheidungen zu seinen Gunsten getroffen hat", heißt es in dem Report.
Armstrong war "perfekte Wahl"
Für die UCI-Führung sei Lance Armstrong die "perfekte Wahl" gewesen, um die Renaissance des Sports nach dem Festina-Skandal anzuführen. Für den UCI-Präsidenten, damals der Niederländer Verbruggen, sei dies eine gute Gelegenheit gewesen, die Wachstumspläne der Organisation und, "mehr als alles andere, seine eigene Macht zu stärken".Der aktuelle Präsident Brian Cookson erklärte, die UCI habe in der Vergangenheit stark unter einem "Mangel an guter Regierungsführung" gelitten. Einzelpersonen hätten wichtige Entscheidungen alleine getroffen, "viele davon haben Anti-Doping-Bemühungen untergraben". Er wolle Verbruggen anschreiben und ihm empfehlen, seine UCI-Ehrenpräsidentschaft niederzulegen.
Die CIRC war Anfang 2014 eingesetzt worden, um den UCI-Sumpf weiter trockenzulegen. Die dreiköpfige Kommission wurde vom Schweizer Politiker Dick Marty angeführt, ihm zur Seite saßen der deutsche Jurist Ulrich Haas sowie der australische Strafverfolger Peter Nicholson.
Armstrong begrüßte den Bericht. "Ich bin der CIRC dankbar für ihre Suche nach der Wahrheit und dafür, dass ich sie dabei unterstützen durfte", schrieb der gefallene Held. Er sei sehr traurig über viele Dinge, die er getan habe, ergänzte der Amerikaner, der der Kommission Rede und Antwort gestanden hatte: "Ich hoffe, dass die Wahrheit den Sport, den ich liebe, in eine leuchtende, dopingfreie Zukunft führen wird."
Direkte Bestechung konnt Armstrong nicht nachgewiesen werden
Zahlungen an die UCI in Höhe von 125.000 Dollar konnte die Kommission Armstrong nachweisen - allerdings keine direkte Bestechung. Spendenüberweisungen Armstrongs in Zusammenhang mit "verdächtigen" Proben während der Tour de Suisse 2001 bezeichnete die Kommission als "unklug".Neben Armstrong hatte die Kommission mehr als 100 weitere Personen befragt. Einige Stellungnahmen legen nahe, dass auch der ehemalige Tour-Sieger Alberto Contador von der UCI-Führung vor Doping-Verwicklungen geschützt worden sein könnte.
Demnach wurde der Spanier von dem positiven Dopingtest auf Clenbuterol im Jahr 2010 persönlich bei einem Treffen mit UCI-Funktionären informiert. Dabei wurde festgelegt, dass kontaminiertes Fleisch als mögliche Ursache der positiven Probe genannt werden soll. Mehrere Befragte empfanden die Vorgehensweise als "seltsam".
"Dass da jede Menge krumme Dinge liefen, war klar. Der Radsport war verrottet, und alle haben damals mitgemacht", sagte Schenk (62) dem SID. Nun sieht sie mehr denn je auch den Fußball und die FIFA unter Zugzwang. "Die CIRC bekam viel mehr Freiheiten als sie ein Marc Pieth je hatte", sagte Schenk angesichts der Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit dem umstrittenen Bericht des ehemaligen FIFA-Chefaufklärers Pieth.
Schenk: "Wenn Blatter wiedergewählt wird, ändert sich nichts"
Mit Blick auf FIFA-Präsident Joseph S. Blatter sagte Schenk: "Für effektive Aufklärung müsste entweder der Kopf der FIFA weg, oder die absolute Unabhängigkeit einer Kommission müsste gewährleistet sein. Unter Blatter ist das nicht möglich. Wenn er wiedergewählt wird, habe ich keine Hoffnung, dass sich irgendwas ändert", sagte Schenk.Schenk verwies darauf, dass auch die CIRC erst von der Exekutive unter Cookson installiert worden war. Sie selbst hatte 2004 und 2005 als Mitglied des UCI-Managements die Missstände in ihrem Sport klar angesprochen, war aber auch von Verbruggen massiv behindert worden.
Schenk sprach allerdings auch von einem weiten Weg, den die UCI trotz aller Anstrengungen noch vor sich habe. Dasselbe tat die CIRC. Sie regte weitere zum Teil schmerzhafte Änderungen an: Die Zusammenarbeit mit Regierungen solle gestärkt werden, damit der Kampf gegen Doping mit staatlichen Mitteln effektiver gestaltet werden kann. Zugleich solle über die Verschärfung von Dopingtests und Zielkontrollen in der Nacht nachgedacht werden, ebenso über die Installierung einer unabhängigen Anlaufstelle für Whistleblower.
Einige der von der CIRC Interviewten dürften solche Maßnahmen ebenfalls als alternativlos einstufen. Ein Befragter glaubt, dass nach wie vor 90 Prozent des Pelotons gedopt seien.