Sprach man früher Paul Biedermann auf Rivale Michael Phelps an, funkelten seine Augen verräterisch. Auf das jüngste Comeback des Rekord-Olympiasiegers reagiert das deutsche Schwimm-Ass aber seltsam leidenschaftslos. "Ich freue mich natürlich über seine Rückkehr ins Becken, aber ich habe derzeit genug mit mir selber zu tun", sagte Biedermann (27) dem "SID": "Ich muss erstmal für mich ein paar gute Zeiten schwimmen, dann kann ich auch wieder an die Konkurrenz denken."
Die Zurückhaltung des Doppelweltmeisters von 2009 ist nicht grundlos. Die am Donnerstag beginnende DM in Berlin (bis 4. Mai) ist für Biedermann, der wegen eines verschleppten Infekts in der kompletten WM-Saison fehlte, der erste wichtige Wettkampf seit seinem Sieg bei der Kurzbahn-WM vor mehr als 16 Monaten.
Leistungsniveau ungewiss
Wie leistungsstark er bereits wieder ist, weiß nicht einmal der Hallenser selbst: "Ich konnte gut trainieren und bin selber gespannt, was ich drauf habe. Danach sind wir alle schlauer." Nach dem Rücktritt seiner Freundin Britta Steffen wird Biedermann nicht nur sportlich als "Leitwolf" gebraucht, wie Bundestrainer Henning Lambertz kürzlich betonte. "Ein Leitwolf? Nein!", betont dagegen Biedermann selbst, der Langstreckenschwimmer Thomas Lurz sowie seine Beckenkollegen Steffen Deibler und Marco Koch in der Hierarchie weiter vorne sieht: "Ich muss erst wieder meinen Platz finden, da kann ich mich momentan noch gar nicht einbringen."Biedermann wird im Europa-Sportpark auf seinen Freistilstrecken über 100, 200 und 400 m auch deshalb nicht mit angezogener Handbremse schwimmen, weil die Tickets für die Heim-EM im Sommer (13. bis 24. August) an selber Stelle auf dem Spiel stehen. Berlin ist Teil eins der EM-Qualifikation, aber auch beim Überprüfungswettkampf in elf Wochen in Essen müssen Biedermann und Co. festgelegte Normzeiten und Plätze erreichen.
Diese neue Form der Qualifikation für den Saisonhöhepunkt, die Bundestrainer Lambertz als eine Folge der enttäuschenden WM in Barcelona (nur eine Silbermedaille durch Brustschwimmer Koch) durchgesetzt hat, stößt bei Biedermann noch nicht wirklich auf viel Gegenliebe. "Ich nehme das jetzt an und werde versuchen, es optimal umzusetzen", sagte der Weltrekordler betont nüchtern.
"Weniger Zeit - weniger Fehler"
Lambertz erhofft sich durch die zweigeteilte Qualifikation, den fast schon traditionellen Leistungsabfall deutscher Schwimmer bei Saisonhöhepunkten stoppen zu können. "Wer weniger Zeit zwischen den Terminen hat, macht auch weniger Fehler", erklärte der Bundestrainer. Außerdem hatte Lambertz als Konsequenz "härteres Training" angekündigt.Auf die Trainingspläne des Olympia-Fünften Biedermann nahm Lambertz aber keinen Einfluss. "Ich trainiere nach meinem Fahrplan, und genauso wird das auch bleiben", sagte Biedermann, der beim Meeting in Luxemburg Anfang Februar überzeugen konnte. Von Motivationsproblemen nach dem medaillenlosen Olympia-Auftritt in London will er nichts mehr wissen: "Das Thema habe ich am Silvesterabend 2012 abgeschlossen."
Dass das Leben auch ohne den Leistungssport lebenswert ist, sieht Biedermann an seiner Lebensgefährtin. Doppel-Olympiasiegerin Steffen scheint den Absprung von der großen Sport-Bühne mühelos geschafft zu haben. "Sie hat das für sich alles sauber abgeschlossen, es passt", sagt Biedermann über die heutige Studentin.