Das "kleine Schwarze" passte perfekt zu der Trophäe, fast aber hätten Tränen das dazugehörige Make-up von Nadine Keßler zerstört. "Mein Herz schlägt bis zum Hals. Ich hätte nie im Leben damit gerechnet. Dennoch wird alles durch die Tragödie um Junior Malanda überschattet", sagte die sichtlich bewegte Weltfußballerin des Jahres bei ihrer Dankesrede: "Der ganze Verein ist zutiefst erschüttert."
Die Europameisterin von 2013 ist nach Birgit Prinz (2003 bis 2005) und Nadine Angerer (2014) die dritte deutsche Spielerin, der diese Ehre zuteil wurde. "Ich teile diese Ehre mit allen, die mich auf meinem weg begleitet haben", sagte Keßler.
Vom tristen Reha-Alltag zurück ins grelle Rampenlicht: Diesen beschwerlichen Weg hat Nadine Keßler bereits mehrfach zurückgelegt. Viel hat nicht gefehlt, und die Nationalspielerin hätte die Glanzpunkte ihrer bemerkenswerten Laufbahn nie erreicht. Denn die sportliche Karriere der Mittelfeldspielerin hing bereits frühzeitig am seidenen Faden.
Immer wieder Knieprobleme
Ihre "Dauerbaustelle", das linke Knie, macht Keßler momentan erneut zu schaffen. Drei Monate nach einer Meniskus-Operation hat die 26 Jahre alte Kapitänin des VfL Wolfsburg bei Belastung immer noch Schmerzen und verpasste den Trainingsauftakt.
Doch die gesundheitlichen Rückschläge haben Keßler rückblickend zu der Führungspersönlichkeit gemacht, die nach der Auszeichnung als Europas Fußballerin des Jahres nun zur Weltfußballerin gekrönt wurde. "Es prägt dich einfach, dass du immer wieder aufstehen musst. Verletzungen vermitteln dir eine ganz andere Wertschätzung für das, was du tust. Ich genieße jede Sekunde mit dem Ball auf dem Feld extrem", sagte sie dem "SID".
2014 führte "Kessi" die Wölfinnen zur erfolgreichen Titelverteidigung in Meisterschaft und Champions League. Nach dem Triple 2013 nahm sie bereits zum vierten und fünften Mal eine Trophäe für den VfL in Empfang. Als zweikampfstarke Anführerin und kreative Spielgestalterin trumpfte Keßler dabei in der Form ihres Lebens auf und erzielte in der Saison 2013/2014 17 Tore für den VfL.
"Sie ist der Leader auf dem Platz"
Trainer Ralf Kellermann weiß, was er an dieser Ausnahmespielerin hat: "Sie ist unser Leader auf dem Platz, reißt mit ihrer Art und mit ihrer Körpersprache die Mannschaft in schwierigen Situationen mit." Das unterstrich Keßler auch im vergangenen Finale der Königsklasse, als sie in Lissabon nach 0:2-Rückstand mit einem herrlichen Solo den Siegtreffer zum 4:3-Endstand gegen Tyresö FF vorbereitete.
Als eines der größten deutschen Talente galt die gebürtige Pfälzerin, die Zinedine Zidane als ihr größtes Vorbild bezeichnet, schon zu Beginn ihrer Karriere 2004 beim 1. FC Saarbrücken. Doch einem Knorpelschaden im Knie folgten schwere Komplikationen. Siebenmal musste Keßler zwischen 2008 und 2010 unters Messer - ihre fußballerische Zukunft stand in den Sternen.
Sie kämpfte sich zurück und wechselte 2011 von Turbine Potsdam in die Autostadt. Dort entwickelte Keßler sich auch zu einer herausragenden Stammkraft in der Nationalelf, die Bundestrainerin Silvia Neid nicht mehr missen möchte: "Nadine ist ein toller Typ, eine große Persönlichkeit."
Wie groß ihre Opferbereitschaft ist, hat die Europameisterin schon oft bewiesen. Im Champions-League-Finale 2013 spielte sie mit einer Schiene an der Hand und einem gebrochenen Zeh, den sie sich "komplett betäuben" ließ. Weil sie aber erfahren musste, dass der Körper seine Grenzen hat, hat sie immer auch ihre berufliche Entwicklung vorangetrieben.
Sie schloss ein Bachelorstudium als Fitnessökonomin ab und arbeitete bis zum vergangenen Jahr halbtags bei einer Agentur für Kommunikationsdesign. Ab dem Frühjahr nimmt sie per Fernstudium nun den Master ins Visier. Nadine Keßler hat am eigenen Leib erfahren müssen, wie wichtig ein zweites Standbein neben dem Sport ist - selbst für eine Weltfußballerin.