Nach der Ankunft im verschneiten Oberstdorf stand Kamil Stoch die Vorfreude ins Gesicht geschrieben. Mit blauer Pudelmütze auf dem Kopf posierte der Doppel-Olympiasieger vor dem Teamhotel und reckte den rechten Daumen in die Höhe. "Endlich geht es los", sagte der Pole, der in diesem Winter noch keinen Wettkampf absolviert hat und bei der Vierschanzentournee deshalb ein kleines Wunder benötigt.
"Einfach wird es nicht für Kamil. Seine Leistungen im Training waren ganz gut, aber wir schauen von Springen zu Springen. Wunder erwarte ich nicht", sagte Cheftrainer Lukasz Kruczek der polnischen Tageszeitung Sport. Seit Stochs Knöchelverletzung im November und der folgenden Operation war der 27-Jährige außer Gefecht gesetzt, sein Kaltstart bei der Tournee gleicht einem Experiment.
Besonders bitter: Stoch hatte die Verletzung nur wenige Stunden vor Saisonbeginn erlitten, beim Aufwärmen für den Weltcup-Start in Klingenthal. "Keine Panik, ist nicht schlimm", hatte er in Sachsen noch verkündet. Dann aber musste er das Comeback immer wieder verschieben. Erst kurz vor Weihnachten erhielt er grünes Licht.
Viele Beobachter halten das für zu spät, um bei der Tournee eine Rolle zu spielen. "Mit Kamil rechne ich nicht", sagt etwa Bundestrainer Werner Schuster, sonst ein großer Fan des Polen: "Er ist wirklich ein großer Sportler, aber das würde ich schon als große Überraschung einstufen. Wenn er tatsächlich zehn Tage in Folge Höchstleistungen bringt, kann man nur auf die Knie gehen."
WM als Saisonhighlight
Auch Stoch kam ins Grübeln, um ein Haar hätte er die Tournee zu Gunsten der WM Ende Februar geopfert. "Falun ist das Highlight der Saison. Das möchte ich nicht aufs Spiel setzen", sagte er. Doch am Ende war die Verlockung zu groß - und wohl auch der Ehrgeiz. Denn mehr als Rang vier in der Tournee-Gesamtwertung hat Stoch noch nie geschafft, auf einen Tagessieg wartet er bislang vergebens.
Als Anwärter auf den Titel sieht er sich selbst nicht, auch wenn die Buchmacher ihn immerhin auf Rang sechs führen. "Alle Springer aus den Top Ten des Weltcups können die Tournee gewinnen", sagt Stoch: "Gregor Schlierenzauer hat sicherlich die meiste Erfahrung. Aber auch Severin Freund ist in einer sehr guten Form im Moment. Peter Prevc zählt ganz sicher zu den Favoriten. Und vielleicht taucht ein völlig neuer Name auf."
Zum Beispiel Kamil Stoch? Für die zahlreichen polnischen Skisprung-Fans, die zuletzt nicht gerade viel zu feiern hatten, würde aus dem schweigsamen Mann aus Zakopane dann endgültig "König" Kamil werden. Bislang gehört der Adelstitel noch dem großen Adam Malysz. Doch Kamil Stoch ist nicht erst seit Doppel-Gold in Sotschi auf dem besten Weg, sein großes Vorbild zu überflügeln.