Der Fall Claudia Pechstein ist um einen sporthistorischen Moment reicher: Der DOSB entschuldigte sich am Donnerstag bei der fünfmaligen Olympiasiegerin. Zuvor hatte die Experten-Kommission des DOSB die medizinische Bewertung des Weltverbandes ISU, die 2009 zur zweijährigen Sperre der Athletin geführt hatte, als falsch bezeichnet.
"Aus heutigem Verständnis muss man zu dem Urteil kommen, dass Claudia Pechstein aus unserem Verständnis als Opfer gilt", sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann: "Man kann nur um Entschuldigung bitten für all das, was ihr in den vergangenen Jahren in der Frage der medialen Wahrnehmung und in der psychologischen Belastung angetan wurde", sagte der DOSB-Chef in Berlin.
Pechstein habe "über Jahre eine Konstellation ertragen müssen, die "wohl ungerechtfertigt war", wie der DOSB-Chef erklärte. "Und ich denke, es haben viele allen Grund dazu, sich bei ihr zu entschuldigen", fügte Hörmann hinzu und appellierte an die ISU, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu prüfen.
Die Berlinerin war vor sechs Jahren wegen erhöhter Blutwerte von der ISU für zwei Jahre gesperrt worden, ohne dass es einen Dopingbefund gegeben hatte. Dagegen hatte sie sich stets gewehrt. Zuletzt feierte Pechstein einen juristischen Erfolg, nachdem das Oberlandesgericht (OLG) München ihre Schadenersatzklage gegen die ISU auf 4,4 Millionen Euro zugelassen hatte.
Expertenkomission soll Fall neu bewerten
Die Expertenkommission, die der DOSB im Herbst 2014 einberufen hatte, um den Fall noch einmal neu zu bewerten, kam zu einem einstimmigen Urteil. Das Ergebnis der Gruppe unter Vorsitz von Wolfgang Jelkmann, Direktor des Instituts für Physiologie an der Universität Lübeck, zeige laut Hörmann, dass "ein Doping-Nachweis aus Sicht aller fünf von uns aufgerufener Experten nicht zu führen ist".Pechstein reagierte mit Stolz und Erleichterung auf die Ergebnisse der Kommission und auf die Haltung des DOSB. "Heute ist ein toller Tag für mich, vergleichbar mit dem Tag vor dem Oberlandesgericht in München. Es ist wieder Sportgeschichte geschrieben worden", sagte die Berlinerin dem "SID".
Die deutsche Rekord-Olympionikin verspürte vor dem Abflug zum Weltcup nach Hamar/Norwegen auch ein wenig Genugtuung. "Herr Hörmann hat sich im Namen des Deutschen Olympischen Sportbundes entschuldigt. Die medizinische Kommission hat festgestellt, dass ich Opfer bin - ich wusste es schon immer. Ich denke, dass ich jetzt auch vor dem deutschen Sport rehabilitiert bin."
Sportberichtsbarkeit "unersetzbar und richtig"
Obwohl der DOSB in früheren Jahren, insbesondere unter der Leitung des heutigen IOC-Präsidenten Thomas Bach, den Fall Pechstein sehr kritisch gesehen hatte und auf Distanz zu der Athletin gegangen war, wollte Hörmann nun nicht von einer Kehrtwende sprechen. "Aus unserer Sicht geht es nicht um Wendung, sondern um die Frage, wie kommen wir unserer Verantwortung nach", sagte der Allgäuer. Es habe sich im Laufe der letzten Monate schlichtweg die Erkenntnis ergeben, dass man den Fall nochmals aufgreifen müsse.Der DOSB wies aber auch darauf hin, dass er unabhängig von dem Urteil die Sportgerichtsbarkeit "für unersetzbar und richtig im Sinne eines einheitlichen Vorgehens im weltweiten Sport" halte. Im Zuge des Pechstein-Prozesses vor dem Münchner Oberlandesgericht war auch die Sportgerichtsbarkeit mit dem Gerichtshof CAS als letzte Instanz von den Richtern heftig kritisiert worden.
DOSB-Vorstandsvorsitzender Michael Vesper erklärte, dass auch der deutsche Sport Reformbedarf beim CAS sehe. Bereits im September hätte der DOSB Verbesserungsvorschläge gemacht. Demnach soll es in Zukunft ein Wiederaufnahmeverfahren geben, falls es neue Erkenntnisse in einem Fall gibt. Zudem sollten Athleten mehr von Prozesskostenhilfen profitieren und bei der Nominierung der Richterlisten stärker beteiligt werden. Außerdem sollen Verfahren öffentlich sein, wenn Sportler das wünschen und nicht nur in den Sprachen Englisch und Französisch abgehalten werden.