Schon nach acht Minuten war klar: Jerome Boatengs Wade hält. Als der Abwehrchef nach einem abgewehrten Eckball 20 Meter vor dem Tor zum Schuss kam, überlegte er nicht lange. Mit rechts brachte der 27-Jährige die deutschen Weltmeister im EM-Achtelfinale früh in Führung - mit dem Bein, das ihm tagelang Probleme bereitet hatte.
Das erste Tor des Innenverteidigers im 63. Länderspiel ebnete den Weg zum 3:0 (2:0) gegen die Slowakei. "Ich bin froh, dass er reingegangen ist. Ich habe gesagt, ich hebe mir das erste Tor für das Turnier auf", sagte der Bayern-Star im ZDF: "Ich freue mich aber besonders für die Mannschaft, die sehr gut gespielt hat. Gleichzeitig war es das schnellste Tor einer DFB-Auswahl bei einer EURO.
Im Viertelfinale am Samstag (21 Uhr) in Bordeaux gegen Titelverteidiger Spanien oder Italien geht der Angriff auf den vierten EM-Titel weiter - mit "Boss" Boateng, dessen Einsatz lange infrage gestanden hatte. "Die Ärzte und Physios haben alle Vollgas gegeben, sonst hätte ich heute nicht spielen können", äußerte der Abwehrrecke, der sofort zur Mannschaftsbank gelaufen war. Später wurde er ausgewechselt. Boateng gab aber Entwarnung: "Die Wade ist am Ende etwas fest geworden, es war eine Vorsichtsmaßnahme."
Erst nach dem Abschlusstraining am Samstagmorgen hatte Bundestrainer Joachim Löw Entwarnung gegeben. "Die Wade hat gehalten, er hat keine Probleme", hatte der Coach gesagt: "Er kann spielen." Boateng selbst hatte nach der "neurogenen Verhärtung" in der rechten Wade, die er sich beim 1:0 zum Vorrundenabschluss gegen Nordirland zugezogen hatte, schon vorher signalisiert: Er werde auf jeden Fall rechtzeitig für das erste K.o.-Spiel fit.
Boateng souverän gegen die Slowakei
Damit stand der "Boss" auf dem Feld, als die entscheidende Phase der EURO in Frankreich begann. Der 27-Jährige, der einst als Hallodri galt, ist beim Weltmeister längst zum Führungsspieler aufgestiegen - vielleicht sogar zum wichtigsten. Der Innenverteidiger des Rekordmeisters Bayern München ist nicht nur uneingeschränkter Chef der deutschen Defensive, sondern mit seinen genauen Pässen auch ein Trumpf im Aufbauspiel.
Spätestens seit seiner Kritik nach dem 0:0 gegen Polen ("So kommen wir nicht weit!") ist Boateng aber auch außerhalb des Spielfelds ein heimlicher Kapitän. "Innerhalb der Mannschaft ist er absolut respektiert und anerkannt", betonte Löw, der ihn explizit aufgefordert hatte, "mehr zu sprechen, sich zu exponieren in seiner Position als Innenverteidiger".
Wie wichtig er für den Weltmeister ist, zeigte der Münchner auch gegen die Slowakei: Als der Jubel über das Premierentor verhallt war, konzentrierte sich Boateng auf seinen Hauptjob. Souverän dirigierte er an der Seite seines künftigen Klubkollegen Mats Hummels die DFB-Abwehr, den Slowaken um Superstar Marek Hamsik fiel wenig ein, um sie in Gefahr zu bringen.
Als Juraj Kucka nach einem Stellungsfehler von Rechtsverteidiger Joshua Kimmich zum Kopfball kam, rettete Torhüter Manuel Neuer für seine Vorderleute (41.). Der Spielaufbau lief wie gewohnt häufig über Boateng, seine Diagonalpässe öffneten das deutsche Spiel. In der 72. Minute war sein Arbeitstag beendet. Boateng machte für Benedikt Höwedes Platz.
Die EURO in Frankreich ist Boatengs viertes großes Turnier, aber erst das zweite als Innenverteidiger. Bei der WM 2010 in Südafrika rückte er nach den ersten beiden Vorrundenspielen auf der Bank als Linksverteidiger ins Team. Bei der EM zwei Jahre später half er rechts aus, als Kapitän Philipp Lahm auf die linke Seite wechselte. Erst im WM-Achtelfinale 2014 in Brasilien gegen Algerien (2:1 n.V.) stellte Löw ihn in die Abwehrzentrale - dort blieb er seitdem.