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Erschütternd ist auch, wie weite Kreise dieses Verhalten über den Kreis der unmittelbar Verantwortlichen hinaus zog. So weiß man inzwischen, dass der Parlamentsabgeordnete für Sheffield, der Konservative Irvine Patnick, der Sun in den Tagen nach dem Unglück die Version überlieferte, betrunkene Fans hätten randaliert und im Stadion tote Frauen misshandelt. Das sagt inzwischen der damalige Chefredakteur der Zeitung Kelvin MacKenzie. Ob Patnick bewusst log oder einfach den ihm von der Polizei übermittelten Version glaubte, lässt sich nicht objektiv ermitteln.
Die "Wahrheit" der Sun
Dass die Sun aber die schwerwiegenden Anschuldigungen ohne genaue Prüfung übernahm und ihre Vorwürfe mit der heute berüchtigten Schlagzeile "THE TRUTH" überschrieb, das muss heute als eine der dunkelsten Stunden des britischen Journalismus gelten. Es hat dem Blatt insgesamt stark geschadet, vor allem in Liverpool, wo die Menschen seither die Sun großenteils boykottieren und viele Kioskbesitzer sich weigerten, die größte Boulevardzeitung des Landes zu verkaufen.
Noch 2004 berichtete der Independent, dass die Auflage der Sun, die in Großbritannien insgesamt mehr als drei Millionen Exemplare betrug, in Liverpool nur wenig höher als 10.000 lag. Auf der offiziellen Website des Liverpool FC wird die Sun bis heute aus Prinzip nicht zitiert.
Das alles geschah aus einem tief empfundenen Gefühl der Ungerechtigkeit heraus, dass die Menschen vor allem in Liverpool erfuhren angesichts der Umstände, in denen der Verlust ihrer Angehörigen und Mitbürger im Nachhinein den Opfern in die Schuhe geschoben worden war. Das war die zweite Dimension der Schuld, die auch Cameron in seiner bemerkenswerten Rede im Unterhaus ansprach.
Neben der späten Genugtuung für die Opfer und ihre Hinterbliebenen kann die Untersuchung auch Folgen für die damals Verantwortlichen haben. Der Generalstaatsanwalt für England und Wales, Dominic Grieve, muss nun entscheiden, ob die einst abgeschlossenen und angesichts der Vorgaben des Coroners alle mit "Unfall" als Todesursache beendeten Ermittlungen wieder aufgenommen werden.
Nach Auffassung von Anwälten der Hinterbliebenen könnte sowohl der South Yorkshire Police wie auch dem Stadtrat von Sheffield und sogar Sheffield Wednesday, dem Besitzer und Betreiber des Stadions, Anklagen wegen gemeinschaftlichen Totschlags drohen.