Vier Viertelfinals, vier Zu-null-Spiele. Kein einziges Heimtor gab es in den vier Hinspielen der Champions League. Sortiert nach den Ergebnissen (0:3, 0:2, 0:1 und 0:0) analysieren wir die Leistungen der vier Favoriten - und fragen uns schon jetzt, welche Schlüsse sie im Hinblick auf die möglichen Traumhalbfinals Bayern - Real Madrid und Chelsea - Barcelona nahelegen.
Nach den vier Viertelfinalhinspielen in der Champions League sind die Weichen gestellt für das mögliche Traumhalbfinale mit Bayern München gegen Real Madrid und Chelsea gegen Barcelona. Wobei das einzige Spiel, in dem es keinen Auswärtssieg gegeben hat, das also theoretisch noch am offensten ist, auch nicht gerade einen Albtraum nahelegt, weil Milan selbstredend ebenfalls ein sehr attraktiver Halbfinalist wäre.
So klar wie in der vorigen Saison, als drei von vier Viertelfinals bereits im Hinspiel klar entschieden waren (Schalkes 5:2 in Mailand, Madrids 4:0 gegen Tottenham und Barcelonas 5:1 gegen Shakhtar), ist es diesmal nur im Fall von APOEL und Real Madrid: Bei Buchmachern kann man gar nicht mehr darauf wetten, wer weiterkommt, weil die Ausgangslage zu klar ist. Aber auch Chelsea und Bayern müssten schon sehr viel falsch machen, um noch auszuscheiden.
Wir haben die vier Favoriten bei ihren Auswärtsspielen beobachtet und analysiert, wie sicher sie das Halbfinale erreichen sowie schon einmal die taktischen Möglichkeiten für das Semifinale durchgespielt.
1) Real Madrid: 3:0 in Nikosia
Eine glasklare Sache, und zugleich kein Anhaltspunkt für etwaige Spiele gegen Bayern. Ein Klassenunterschied? Nein, denn selbst Karl Marx müsste zugeben, dass Kapitalist und Fabrikarbeiter noch mehr gemeinsam haben als APOEL und Real Madrid. Eher ein Kastenunterschied, wenn die Spanier die Brahmanen und die Zyprer die Unberührbaren im Bodensatz des Sozialgefüges wären.
Unberührbar war für APOEL praktisch der Ball, den sie nur in 20 Prozent der Spielzeit im Besitz hatten, und unberührbar war auch der Strafraum, denn zum vielleicht ersten Mal in der Champions League-Geschichte gab eine Heimmannschaft im Viertelfinale nicht einen einzigen Schuss in Richtung gegnerischer Grundlinie ab.
Eine legitime Taktik, ohne Frage, aber angesichts des großen Leistungsunterschiedes konnte sie nicht auf Dauer Erfolg haben. Denn Madrid durfte fast 30 Abschlüsse verbuchen - alle drei Minuten einen. Irgendwann mussten die Tore zwangsläufig fallen, und das taten sie dann auch gegen in der Schlussviertelstunde mit den Kräften ans Ende gelangte Gastgeber.
Schlüsselfaktoren für Reals Spiel war letztlich die Qualität des Kaders in der Tiefe, denn die eingewechselten Marcelo und Kaká brachten das zusätzliche Quantum an Klasse auf den Rasen, um aus einem Spiel auf ein Tor einen Sieg auf ein Tor zu machen.
2) Bayern München: 2:0 in Marseille
Das Spiel der Bayern im Stade Vélodrome war nicht berauschend, aber sehr effektiv, und die zahlreichen mitgereisten Fans sahen einen klar verdienten Sieg ihrer Mannschaft. Aspekte des unter Jupp Heynckes gewohnten Bayern-Spiels waren auch in Marseille sichtbar: Die Elf dominiert gerne das Spiel und kontrolliert den Ballbesitz, spielt daraus aber relativ wenige klare Torchancen heraus.
Bedenkt man, dass ein Unentschieden grundsätzlich auch ein gutes Resultat gewesen wäre, so erscheint die Herangehensweise der Münchner jedoch genau richtig dosiert. Es gab keinerlei Grund, alles bedingungslos nach vorne zu werfen, und die ersatzgeschwächte Defensive der ohnehin extrem formschwachen Franzosen würde bei konstantem Druck schon den einen oder anderen Fehler machen. So kam es dann auch.
Für die zwei Tore brauchte Bayern nur sechs Abschlüsse, nach APOEL die wenigsten Torschüsse aller acht Viertelfinalisten in den Hinspielen. In den letzten Wochen haben wir gesehen, dass die Chancenverwertung der Münchner dank ihrer starken Einzelspieler in der Offensive exzellent ist. Gegen einen Gegner, der sieben seiner letzten acht Spiele verloren hatte, war die Leistung von Marseille aber noch kein Beleg für etwaige Titelreife der Bayern, die zu Hause seit dem Sieg gegen Napoli Anfang November, bei dem sich Bastian Schweinsteiger verletzte, mit Schalke nur eine Spitzenmannschaft geschlagen haben und auswärts gar kein Spiel bei einem Topteam gewonnen haben.
Das Halbfinale gegen Real Madrid steht ja schon mehr oder minder fest, daher kann man bereits darüber spekulieren, ob das Hinspiel zu Hause eher gut oder schlecht ist. Entgegen den üblichen Gepflogenheiten könnte es in diesem Fall sogar ein Vorteil für die Bayern sein, denn das Spiel im Santiago Bernabéu, wo Madrid in dieser Champions League schon 13 Tore in vier Spielen erzielt hat, und in dem nur zwei Mannschafen überhaupt in allen Pflichtspielen mit weniger als drei Gegentoren nach Hause gefahren sind, ließe sich mit einem möglichen guten Hinspielergebnis sicher leichter angehen.
Nüchtern betrachtet ist Real Madrid dennoch klarer Favorit gegen die Bayern, die schon eine weitere Leistungssteigerung bräuchten, um sich in zwei Spielen gegen José Mourinhos Team durchzusetzen.
3) Chelsea: 1:0 in Lissabon
Lange nicht so dominant wie Real Madrid präsentierte sich Chelsea, wenngleich auch bei einem wesentlich stärkeren Gegner. Interessanterweise unterschieden sich beide Halbzeiten im Estadio da Luz auf paradoxe Weise. In der ersten Hälfte gelang es Chelsea ziemlich gut, die Angriffe der Gastgeber zu neutralisieren und kaum Torchancen zuzulassen. Nach der Pause erhöhte Benfica den Druck stark, was auch Chelsea jedoch zahlreiche Chancen eröffnete, von denen eine dank einer guten Vorarbeit von Fernando Torres von Salomon Kalou verwertet wurde.
Die überraschend gute Defensivleistung der Blues demonstrierte die leichten, aber spürbaren Modifikationen, die Roberto di Matteo gegenüber seinem entlassenen Vorgänger André Villas-Boas vorgenommen hat und die vor allem in einer kompakteren Spielweise und der Fähigkeit zu Tempowechseln im Spiel sichtbar wird. Soll heißen: Das Projekt, den Blues eine offensive und attraktivere Spielweise einzuimpfen, ist vorerst aufgegeben worden.
Das heißt nicht, dass Chelsea Mauerfußball klassischer Prägung spielt. Aber anstelle des Pass-orientierteren Aufbauspiels in Kombination mit starkem Pressing, das Villas-Boas bevorzugte, scheut sich Di Matteos Mannschaft nicht, bei Bedarf auch mit langen Bällen und Flanken in den Strafraum zu operieren. Nicht schöner, nicht moderner, aber momentan effizient, und angesichts der individuellen Qualität im Kader auch nicht ohne Perspektive.
Von den vier Teams, die wir im Halbfinale erwarten, ist Chelsea jedoch am wenigsten auf eine bestimmte Spielweise eingestimmt und dürfte es gegen Barcelona, wenn es denn zu diesem Duell kommt, sehr schwer haben.
4) Barcelona: 0:0 in Mailand
Ein hochinteressantes Spiel im San Siro endete am Mittwoch torlos unentschieden. Auf den ersten Blick eine großartige Leistung Milans, das nun schon zum zweiten Mal in dieser Saison gegen Barcelona punkten konnte. Auch wenn sich die Katalanen aller Voraussicht nach im Rückspiel durchsetzen können, hat Milan doch noch gewisse Chancen aufs Halbfinale.
Interessant war das Spiel vor allem auch deshalb, weil interessierte Trainer studieren konnten, wie man Barcelona neutralisiert. Ein bisschen Glück war dabei (Schiedsrichter Jonas Eriksson verweigerte Barcelona einen Foulelfmeter, als Christian Abbiati Alexis Sanchez zu Fall brachte), aber ein tolles Spiel der Defensive von Milan, in der Alessandro Nesta auf seine alten Tage den Ausfall Thiago Silvas erstaunlich gut kompensieren konnte und Kapitän Massimo Ambrosini einen eindrucksvollen Sechser gab, ließ Barcelona zu wenigen Chancen aus dem Strafraum kommen.
Im Mittelfeld wurde das Spiel von Milans 4-3-1-2-System eng gemacht, womit Barcelona, für das Josep Guardiola selbst mit dem Vorzug Seydou Keitas vor Cesc Fabregas eine vorsichtigere Taktik gewählt hatte, über die Außenbahnen nicht umzugehen wusste. Milan kombinierte zudem phasenweises Pressing und defensive Kompaktheit in vorbildlicher Weise.
Ob Chelsea das in einem möglichen Halbfinale gegen die Blaugrana genau so könnte? Unwahrscheinlich in der jetzigen Verfassung der Blues, deren packendste Duelle mit Barcelona in die Zeit von José Mourinho fielen. Sollte Milan sich wider Erwarten durchsetzen, wären die Halbfinalspiele jedoch mindestens offen, denn die Rossoneri sollten Chelsea deutlich besser liegen (auch wenn Milan, im luftleeren Raum gesehen, eher stärker einzuschätzen ist als die Londoner).
Fazit
Die reinen Ergebnisse legen zwar schon jetzt die Halbfinalpaarungen nahe, verraten aber wenig über die Favoritenrolle im weiteren Wettbewerb. Je stärker der Gegner war, desto knapper endeten die Spiele: Real Madrid, das den leichtesten Gegner hatte, siegte mit 3:0, Barcelona, mit dem schwersten Gastgeber, schaffte nur ein 0:0.
Real Madrid und Bayern spielten auf ihre jeweilige Weise so, wie man es von ihnen gewohnt ist, Chelsea zeigte ein neues (oder altes?) Gesicht, und Barcelona lieferte einen kurzen Einblick, wie die beste Mannschaft der Welt zu schlagen sein könnte.
Wenn Sie dennoch schon jetzt auf ein Finale Barcelona gegen Real Madrid wetten möchten - wir werden Sie nicht davon abhalten.
Daniel Raecke