So nah - und doch wieder so weit weg: Atlético Madrid hat im Endspiel der Champions League wie 1974 gegen Bayern München ein Trauma erlebt.
Als die bösen Geister von 1974 Atlético Madrid erneut auf traumatische Weise heimsuchten, brannten bei Diego Simeone für einen kurzen Moment die Sicherungen durch. Wie ein Kneipenschläger warf sich der Trainer nach einer Provokation von Raphael Varane auf den hilflosen Profi von Real Madrid, mit wehendem Schlips und ohne Rücksicht auf mögliche Folgen. Der Henkelpott war Simeone zu diesem Zeitpunkt am Ende dieses dramatischen Endspiels bereits entglitten, und auch Provokateur Varane bekam er nicht zu fassen.
"Schwarzenbeck reloaded" statt erster Triumph in der Champions League, hieß es nach dem 1:4 n.V. für die wackeren "Matratzenmacher" aus den Hochhausblöcken im Süden der spanischen Hauptstadt. Am 15. Mai 1974 hatte Hans-Georg "Katsche" Schwarzenbeck in Brüssel mit seinem Gewaltschuss aus großer Distanz in buchstäblich letzter Minute der Verlängerung ein Wiederholungsspiel für Bayern München erzwungen. Zwei Tage später überrannten Beckenbauer und Co. die armen Spanier beim 4:0 - genau wie es diesmal Real nach dem späten Treffer von Sergio Ramos (90.+3) zum 1:1 in der folgenden Verlängerung tat.
Erinnerungen werden wach
"Schon wieder das grausamste Finale", jammerte Real-Hausblatt Marca ein bisschen mit den traurigen Verlierern. "An einem Tag hast du alles, am nächsten nichts", meinte Simeone, als er sich wieder gefasst hatte. Genau eine Woche zuvor war Atlético zum zehnten Mal und erstmals seit 1996 spanischer Meister geworden. Nun mussten sie paralysiert mit ansehen, wie Real seine Obsession von der "Zehnten" endlich ablegte.Bis zu Ramos' Treffer hatte Atlético mit sehr viel Geschick und ein bisschen Glück das 1:0 durch Diego Godin (36.) verteidigt. Doch als Ramos zugeschlagen hatte, war es um die Rot-Weißen geschehen. Kapitän Gabi sprach von einem "tragischen Moment", Außenverteidiger Juanfran meinte: "Dieses Tor hat uns erledigt." Dem früheren Bundesliga-Profi Diego verschlug es die Sprache, er murmelte nur ein kaum wahrnehmbares "Entschuldigung", als er an den Reportern vorbeischlich. Und der beim Ausgleich machtlose Torhüter Thibaut Courtois schluchzte: "Uns fehlte doch nur eine einzige Minute..." Wie 1974.
Déjà-vu nach 40 Jahren
40 Jahre sollte es danach dauern, bis "Atléti" wieder in ein Finale der Königsklasse einzog. Auch diesmal ist es wenig wahrscheinlich, dass es die Underdogs bald wieder schaffen. Simeones Willens-Fußball ist allzu anfällig für Formschwankungen. Und in Diego Costa verliert die Mannschaft ihren besten Stürmer, der spanische Nationalspieler wird wohl zum FC Chelsea wechseln.Doch das sind sie gewohnt, schon vor dieser Spielzeit mussten sie Radamel Falcao ersetzen. "Ich habe meinen Spielern gesagt, dass es keinen Sinn macht zu weinen. Sie müssen den Kopf oben halten und an die nächste Saison denken", sagte Simeone. Am Montag, fügte er an, sei der erste Tag der neuen Saison: "Wir wollen weiter Quälgeister bleiben."